Alle Jahre wieder – von der (Ir)rationalität des Schenkens
StandpunktÖkonomische Wahrheiten können grausam sein. Bereits 1993 veröffentlichte Joel Waldfogel von der University of Minnesota seinen berühmt gewordenen Artikel über den Wohlfahrtsverlust, der durch Weihnachten entsteht. Alljährlich gehen nach seiner Analyse an den Feiertagen Milliardenwerte verloren. Um sich diesem Phänomen zu nähern, bietet sich ein Blick auf die Weihnachtsgeschenke des vergangenen Jahres an.
Was haben Schwiegermutters Vase, der kratzige Pullover und die individuell gemusterte Krawatte gemeinsam? Jedes Jahr zu Weihnachten werden Geschenke produziert, gesucht, gekauft, verpackt und verschenkt, die am Ende nirgends Verwendung finden, sondern heimlich, still und leise auf dem Dachboden oder im Keller verschwinden. Die drei oben genannten Geschenke, welche höchstens mal für den Besuch des Schenkenden hervorgeholt werden, stehen beispielhaft für den von Waldfogel thematisierten Wohlfahrtsverlust.
Ein Geschenk, für dessen Produktion Ressourcen aufgewendet wurden und das seinem Besitzer am Ende keinen Nutzen bringt – etwa weil die Beschenkte keine Schnittblumen mag und deshalb die Vase nie benutzt – bezeichnet der Ökonom als Wohlfahrtsverlust. Was hätte man nicht alles mit der feinen Seide der nie benutzten Krawatte machen können. Oder mit der Wolle des Pullovers. Oder mit der Zeit, die man für das Aussuchen des Geschenks verbracht hat. Entscheidet man sich zum Beispiel in der Zeit, in der man arbeiten könnte, sich durch Menschenmengen zu schieben, an endlos langen Kassen anzustehen oder bei Ebay und Amazon hunderte von Seiten zu durchwühlen, verzichtet man auf den entsprechenden Arbeitslohn. Der Wert des Geschenks ergibt sich also nicht nur aus den Ressourcen, sondern auch aus der Zeit, die man für die Suche und den Kauf aufgebracht hat. Und dieser Wert wird vernichtet, wenn das Geschenk ungenutzt im Schrank oder sogar auf dem Müll landet.
Geld vermeidet Fehlallokationen
Den hartgesottenen Ökonom indessen lässt kein Problem kalt und so hat er auch in diesem Fall eine Empfehlung zur Hand – das Geldgeschenk: Entweder als Scheine – solange es die noch gibt – oder als Überweisung mit Kopie des Überweisungsträgers unterm Tannenbaum. Damit kann sich der Beschenkte genau das kaufen, was er sich wirklich wünscht. Geld vermeidet Fehlallokationen. Wem das Bild der Familie, die unter dem Weihnachtsbaum Geldgeschenke tauscht, zu unromantisch anmutet, könnte alternativ auch auf Gutscheine zurückgreifen oder die Effizienz des Geschenketauschs durch Wunschzettel steigern.
Doch die ökonomische Wissenschaft hat sich weiter entwickelt. Geld ist ja nicht alles. Neuere verhaltensökonomische Forschungen zeigen, dass Schenken von Gegenständen auch Werte schaffen kann. Im Labor entschieden sich Studierende, die zunächst eine Tasse als Geschenk erhielten, und anschließend gefragt wurden, ob sie diese gegen eine Tafel Schokolade tauschen wollten, mehrheitlich für die Tasse. Interessanterweise fanden die Studierenden, die zunächst die Schokolade bekamen, dass sie bei der Tafel bleiben wollten. Beide Gruppen wollten ihr Geschenk nicht eintauschen. Es ist also nicht nur der monetäre Wert, der zählt.
Suchkosten lassen sich vermeiden
Und so ist die Flasche Wein des Nachbarn als Dankeschön für die Briefkastenleerung während der Urlaubsreise sicherlich passender als ein Zehn-Euro-Schein, auch wenn der Wein nicht teurer war. Trotz jahrelanger Arbeit durch die Wissenschaft muss am Ende jeder selber das richtige Geschenk auswählen. Um Suchkosten zu sparen, bietet sich vielleicht ein Geschenk an, mit dem man sich gut auskennt. Die Weinkennerin kann guten Wein verschenken, der Gamer originelle Computerspiele. Große Gefühle hingegen werden erzeugt, wenn das Geschenk einiger Überwindung bedarf. Gemeinsame Karten für ein Helene-Fischer-Konzert werden dann zum Liebesbeweis, wenn der Beschenkte Helene Fischer Fan ist, die Schenkende aber nicht und dennoch mitkommt und den Abend mit genießt.
Waldfogel hat seine Erkenntnisse übrigens in einem schmalen Buch veröffentlicht, das in vielen Sprachen veröffentlicht wurde. Es ist zu vermuten, dass er es als Weihnachtsgeschenk empfehlen würde…