Minderheitsbeteiligungen können zur Stabilisierung von Kartellen beitragen

Nachgefragt

Lange Zeit galten sie als wettbewerblich unbedenklich, weil sie formal keine Kontrolle von Unternehmen ermöglichen: Minderheitsbeteiligungen. Diese Sicht wird mittlerweile jedoch verstärkt in Frage gestellt. Zu den wettbewerblichen Konsequenzen von Minderheitsbeteiligungen sowie deren rechtliche Handhabung äußert sich ZEW-Wettbewerbsökonom Sven Heim.

Wie wirken sich Minderheitsbeteiligungen ökonomisch aus?

Minderheitsbeteiligungen können durchaus negative Effekte auf den Wettbewerb haben, insbesondere horizontale Minderheitsbeteiligungen, also Minderheitsbeteiligungen zwischen Unternehmen der gleichen Branche. Bei diesen antikompetitiven Effekten wird primär zwischen unilateralen und koordinierten Effekten unterschieden. Unilaterale wettbewerbsschädliche Effekte treten auf, wenn ein Unternehmen, das sich finanziell an einem Konkurrenten beteiligt, ein geringes Interesse daran hat, sich im Verhältnis zu diesem Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, denn es ist bereits über Dividenden an Gewinnen und Verlusten des Konkurrenten beteiligt. Zudem kann eine Minderheitsbeteiligung an einem Konkurrenten auch dazu genutzt werden, dessen strategische Entscheidungen zu behindern, sofern durch die Minderheitsbeteiligung eine Sperrminorität vorliegt. Aber auch koordinierte Effekte können den Wettbewerb schädigen. So lassen sich etwa Kartellabsprachen leichter durchsetzen, wenn Unternehmen Beteiligungen untereinander halten. Minderheitsbeteiligungen können zu privilegierter Einsicht in die kommerziellen Aktivitäten des Kontrahenten führen und so Abweichungen von Kartellabsprachen leichter erkennbar machen. Zudem sind auch die Anreize von einer Kartellabsprache abzuweichen geringer, da dies auch zu einer geringeren Dividende führt.

Wie relevant ist das Problem für den europäischen Markt?

Auf politischer Seite prüft die Europäische Kommission derzeit, ob es sinnvoll wäre, die Fusionskontrolle auf Minderheitsbeteiligungen auszuweiten. Dabei geht die Tendenz klar in diese Richtung. In einigen Ländern wie Deutschland oder den USA fallen Minderheitsbeteiligungen bereits heute in den Zuständigkeitsbereich der Wettbewerbsbehörden. In der Praxis bedeutet dies jedoch selten eine intensive Prüfung wie etwa bei vollständigen Übernahmen. In den USA wird nur ein Prozent aller Minderheitsbeteiligungen von den zuständigen Behörden untersucht, noch weniger schließlich geblockt – im internationalen Vergleich schon ein sehr hoher Wert. In der Forschung sind die Hinweise bislang fast ausschließlich theoretischer Natur. Empirisch konnte gezeigt werden, dass Minderheitsbeteiligungen in den USA zu höheren Preisen geführt haben. Ein aktuelles ZEW-Papier findet erstmalig empirische Evidenz dafür, dass Minderheitsbeteiligungen in der Praxis tatsächlich zur Kartellstabilisierung genutzt werden. Unternehmen aus der gleichen Branche gehen signifikant mehr Minderheitsbeteiligungen untereinander ein, wenn kartellrechtliche Kronzeugenprogramme eingeführt werden, die die Kartellstabilität reduzieren. Vor allem große Unternehmen beteiligen sich dann aneinander, um die Kartellstabilität wieder auf das ursprüngliche Niveau anzuheben.

Brauchen wir also eine Reform der EU-Fusionskontroll­verordnung?

Eine Reform der Fusionskontrolle auf europäischer Ebene wird bereits seit einigen Jahren diskutiert. Dabei galt als Gegenargument, dass eine Ausweitung auf Minderheitsbeteiligungen recht hohe Kosten verursacht, sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Behörden. Zudem war das Ausmaß der Wettbewerbsschädigung durch Minderheitsbeteiligungen lange Zeit nicht wirklich klar. Empirische Ergebnisse liegen erst seit Kurzem vor und zeigen eindeutig, dass eine Reform der Fusionskontrolle, bei der Minderheitsbeteiligungen stärker berücksichtigt werden sollten, durchaus nötig ist.

Wie geht das deutsche Wettbewerbsrecht mit Minderheitsbeteiligungen um?

Wenn man sich die Ergebnisse unserer Studie vor Augen führt, kann durchaus noch mehr getan werden. Ein Anstieg der horizontalen Minderheitsbeteiligungen nach Einführung einer Kronzeugenregelung um etwa 30 bis 50 Prozent ist schon eine Hausnummer und deutet auf eine stärkere Nutzung von Minderheitsbeteiligungen als Instrument zur Kartellstabilisierung hin, als bislang angenommen wurde. In dieser Hinsicht wäre es sinnvoll, dass das bundesdeutsche Kartellamt seine rechtliche Kompetenz bei der Prüfung von Minderheitsbeteiligungen stärker nutzt, vor allem mit Blick auf die Minderheitsbeteiligungen zwischen großen Unternehmen.

Welche Effekte haben Minderheitsbeteiligungen auf die Preis- und Investitionsentscheidungen der betroffenen Unternehmen?

Minderheitsbeteiligungen können dazu führen, dass der Preiswettbewerb abnimmt, auch ohne explizite Preis-absprachen. Dies liegt daran, dass die Gewinnfunktion des Kontrahenten im Falle einer Minderheitsbeteiligung in die eigene Gewinnfunktion miteinfließt. Dass das in der Realität auch der Fall ist, ist mittlerweile recht eindeutig. Aber auch Investitionsentscheidungen können durch Minderheitsbeteiligungen beeinflusst werden, sofern diese kontrollierend sind beziehungsweise unternehmensstrategische Entscheidungen einen Mehrheitsbeschluss erfordern, etwa 75 Prozent. Dann kann eine größere Minderheitsbeteiligung dazu führen, dass angedachte Investitionsentscheidungen, Kapitalerhöhungen oder Veränderungen der geographischen oder der Produktausrichtung durch das beteiligte Unternehmen beeinflusst werden, um den Wettbewerbsdruck niedrig zu halten.