Wirtschaftspolitik aus erster Hand – „Finanzstabilität ist eine nationale Aufgabe“

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Bundesbank-Vizepräsidentin Prof. Dr. Claudia M. Buch bei ihrem Vortrag am ZEW zu den G20-Finanzmarktreformen.

Bereits kurz nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 hatte sich die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – kurz G20 – im November 2008 auf Reformmaßnahmen verständigt, um künftigen Krisen an den globalen Finanzmärkten vorzubeugen. Am Ende des diesjährigen G20-Gipfels in Hamburg stimmten die Staats- und Regierungschefs einem strukturierten Rahmen für die Evaluierung der bisherigen Reformen zu. Was ist aus den G20-Reformzielen geworden? Sind Finanzkrisen heute weniger wahrscheinlich und die Kosten der jüngsten Konjunkturschocks inzwischen kalkulierbar? Und wo befinden sich Schnittstellen zur Geldpolitik? Um diese Fragen ging es Prof. Dr. Claudia M. Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, in der Vortragsreihe Wirtschaftspolitik aus erster Hand am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am 17. Oktober 2017 in Mannheim. Ihr Credo: Während die Verantwortung für Finanzstabilität auf nationaler Ebene liegt, sollten die globalen Reformen dazu stets auf internationaler Ebene analysiert und bewertet werden.

Die Subprime-Krise im Frühjahr 2007 auf dem US-Markt für Hypothekenkredite, die darauf folgende weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die Staatsschuldenkrise in Europa haben ein Kernproblem deutlich gemacht: Wie kann es überhaupt zu solchen Verwerfungen kommen und wie teuer kommt uns das zu stehen? „Selbst relativ kleine Schocks haben Auswirkungen auf das gesamte Finanzsystem und die Realwirtschaft“, betonte Claudia Buch während ihres Vortrags zum Thema „G20-Finanzmarktreformen: Von der Umsetzung zur Evaluierung“.

Risikoreiches Verhalten einzelner Spieler – nämlich sowohl großer als auch kleiner Banken – könne Überlastungen und am Ende Verstopfungen im System nach sich ziehen, erklärte die Bundesbankerin vor rund 120 Gästen am ZEW, darunter Vertreter von Banken, Wissenschaft, Unternehmen, und Zivilgesellschaft.  „Finanzkrisen entstehen, weil große Kreditinstitute zu hohe Risiken oder viele kleine Institute zu ähnliche Risiken eingehen“, sagte Buch. Gleichzeitig gebe es enge Verflechtungen der Banken untereinander im System. Infolge von Finanzkrisen breche die realwirtschaftliche Leistung ein, die Arbeitslosigkeit steige und verharre auf einem hohen Niveau und die Verschuldung von Staaten im öffentlichen wie privaten Sektor nehme zu.

"Wir können Krisen in Zukunft nicht vollständig vermeiden"

„Im Euro- und US-Dollar-Raum haben wir nach der Krise 2007 einen sehr starken Anstieg der Staatsverschuldung beobachtet“, so Buch. Ein Großteil davon sei auf Stützungen von Banken zurückzuführen. „Diesen Mechanismus müssen wir aushebeln, auch wenn wir Krisen in Zukunft nicht vollständig vermeiden können.“ Ausreichende Puffer seien ein wichtiger und wirksamer Schutz gegen systemische Risiken. Mit anderen Worten: Mehr Eigenkapital der Geldhäuser – einer der vier großen Reformblöcke, auf die die G20-Maßnahmen zur Finanzmarktstabilität abzielen.

Neben höheren Eigenkapitalquoten als Garanten für die Widerstandsfähigkeit von Banken und Gesamtwirtschaft müssten auch große Kreditinstitute aus dem Markt ausscheiden können, quasi nicht „too big to fail“ sein, die Märkte für Derivate transparenter sein und sogenannte Schattenbanken effizienter reguliert werden. „Große Finanzinstitute können Fehlanreize haben, überhöhte Risiken einzugehen“, legte Buch dar, „das haben wir aus der Krise schmerzlich gelernt.“ Was also haben die G20-Finanzmarktreformen bisher gebracht?

"Globale Reformen sollten im internationalen Kontext bewertet werden"

Der ehemaligen Wirtschaftsweisen zufolge halten Banken heute mehr Eigenkapital als vor der Krise. Gemessen an Bundesbank-eigenen Berechnungen ist die Eigen- und Kernkapitalquote aller Kreditinstitute in Deutschland seit 2004 gestiegen. „Das ist ein weltweites Phänomen“, unterstrich Buch. Großbanken hätten inzwischen tendenziell weniger ungewichtetes Eigenkapital und müssten nach den Basel-III-Vorschriften höhere Kapitalpuffer aufweisen. Zudem gebe es mittlerweile ein zentrales Verfahren zum Ausgleich gegenseitiger Forderungen und Verbindlichkeiten durch Auf- und Verrechnung bei Banken – „Clearing“ genannt – mit Blick auf standardisierte, außerbörslich gehandelte Derivate. Schließlich sei auch die Aufsicht über Schattenbanken verbessert worden. „Wir haben uns angesehen, welche ökonomischen Funktionen solche ‚Banken‘ wahrnehmen“, erläuterte Buch. Demnach seien Schattenbanken keine Kreditinstitute im eigentlichen Sinne, sie würden wohl aber bankähnliche Geschäfte machen, was nicht zwangsweise illegal sein müsse. In Deutschland zum Beispiel würden Investmentfonds den größten Anteil an Schattenbanken ausmachen, jedoch keine so gewichtige Rolle spielen. „Natürlich gelten Regulierungen auch für Investmentfonds“, erläuterte Buch.

Trotz aller bisherigen Fortschritte sei es noch ein langer Weg, bis die G20-Finanzmarktreformen vollständig implementiert seien. Deren Bewertung dürfe indes nicht aufhören, brauche bessere Datengrundlagen und eine unabhängige Durchführung, forderte Buch. „Wir sollten dabei eine längerfristige und gesamtwirtschaftliche Perspektive einnehmen und müssen Unterschiede zwischen privaten Kosten und sozialen Erträgen im Blick haben.“ Aktuell würden niedrige Zinsen die Gefahr bergen, dass Risiken für die Finanzstabilität unterschätzt werden. Deshalb, schlussfolgerte die Volkswirtin, liege die Zuständigkeit für Finanzstabilität vorrangig auf nationaler Ebene. „Globale Reformen sollten aber im internationalen Kontext bewertet werden.“

An den Vortrag schloss sich eine von ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD moderierte Fragerunde zum Thema an, bei dem intensiv mit dem Publikum diskutiert wurde: Welche Rolle spielen Kleinbanken als potenzielle Risikofaktoren für das System? Tragen Bundesbank und Europäische Zentralbank den Konflikt um die Niedrigzinspolitik aktiv und konstruktiv aus? Können nationale Behörden wirklich gut abschätzen, wie sich die Finanzstabilität in anderen Ländern entwickelt und braucht es langfristig nicht vielmehr eine europäische Regulierung dazu? Sowohl der Vortrag als auch die Debatte zeigten, wie komplex das Vorhaben eines stabilen Finanzsystems ist und auf welchen Baustellen es dabei zu tun gibt.