Die Textilindustrie gehört zur absoluten Spitzengruppe der innovativen Branchen
NachgefragtWas verspricht der Markt für smarte Textilien? Sogenannte smarte Textilien sind auf dem Vormarsch: Ihre Einsatzmöglichkeiten reichen von modischer Alltags- und Sportbekleidung bis hin zu speziellen Anwendungen im Militär, in der Medizin und im Bausektor. Die Wachstumsprognosen für den Wirtschaftszweig sind optimistisch. Die ZEW-Wissenschaftler/innen Dr. Jörg Ohnemus und Dr. Fabienne Rasel haben im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie eine Expertise für smarte oder intelligente Textilien in Deutschland erarbeitet. Im ZEWnews-Interview spricht Jörg Ohnemus über diesen Markt und seine Perspektiven sowie Innovationen in der Branche.
Was genau meint der Begriff smarte Textilien?
Smarte Textilien sind eine Untergruppe der sogenannten „wearable technology“, also der tragbaren Technologien. Bei smarten Textilien ist die Elektronik etwa ins Garn eingewebt. Ihre Fasern weisen neue mechanische Oberflächen-, Schutz- und „Intelligenz“-Eigenschaften auf, die vormals nicht textil waren. Sie erfassen beispielsweise Informationen und geben sie weiter, sie leuchten, heizen, heilen Wunden oder überwachen die Herz- und Atemfrequenz und die Temperatur. Es gibt Unternehmen oder Start-Ups, die bereits Produkte mit smarten Textilien entwickelt haben. Bekannte Beispiele sind der US-Textilhersteller Levi’s, der zusammen mit Google eine Stadt-Radfahrjacke entwickelt hat oder der Sportartikelhersteller Nike mit seinem smarten Schuhen mit lernfähigen Schnürsenkeln. Allerdings kommen intelligente Textilien heute größtenteils in der Medizin und im Militär zur Anwendung.
Welche besonderen Merkmale hat denn der Markt für intelligente Textilien?
Zunächst einmal sind im Markt für smarte Textilien Akteure ganz unterschiedlicher Branchen aktiv, beispielsweise der Textilindustrie, der Elektrotechnik oder der Informations- und Kommunikationsbranche. Unter dem Stichwort „FashionTech“ sind auch zahlreiche Modedesigner engagiert, da sich durch die neuen Werkstoffe und technischen Möglichkeiten zahlreiche Chancen im Design und in der Verwendung auch in Alltagskleidung ergeben.
Wie hat sich der Markt für intelligente Textilien bisher entwickelt und wie sind die Zukunftsaussichten?
Bislang sind Zahlen zur Entwicklung des noch jungen Markts rar, insbesondere in Deutschland. Nach ZEW-Berechnungen liegt das weltweite Marktvolumen für intelligente Textilien 2017 bei etwa 1,3 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2022 rechnen wir mit einem Marktvolumen von knapp 4,7 Milliarden Euro, und bis zum Jahr 2030 mit einem weltweiten Marktvolumen von mehr als 41 Milliarden Euro. In Deutschland liegt das aktuelle Marktvolumen bei schätzungsweise 230 Millionen Euro. Wir erwarten hier einen Anstieg bis zum Jahr 2030 um knapp das Zwanzigfache. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verbänden und Unternehmen weisen darauf hin, dass über die vergangenen 100 Jahre hinweg die Textilbranche in Deutschland immer weiter verschwunden sei. Nun hoffen sie, dass durch die Digitalisierung und die hervorragende Entwicklung bei smarten Textilien eine Trendwende einsetzen wird und Arbeitsplätze gesichert werden können. Denn der Bereich der intelligenten Textilien ist – wie die deutsche Wirtschaft insgesamt – exportstark und oftmals technologisch führend. Besonders im Zulieferbereich, zum Beispiel für leitfähige Garne oder Miniatursensoren, und in der Medizintechnik steht Deutschland mit an der Spitze. Hauptwachstumstreiber kommen hauptsächlich aus den Bereichen Schutzkleidung für das Militär und medizinische Anwendungen, aber auch aus den Bereichen Sport und Fitness sowie Mode. Ein großes Marktpotenzial liegt auch in der Herstellung intelligenter Textilien, bei der oftmals Unternehmen verschiedener Branchen kooperieren. Wir rechnen damit, dass es bereits innerhalb der nächsten zwei Jahre einen großen Entwicklungsschub in den Produktionsmethoden geben wird.
Um diese smarten Textilien zu entwickeln, sind umfangreiche Innovationen notwendig. Wie ist denn der deutsche Markt darauf vorbereitet?
Die deutsche Textilwirtschaft gehört zur absoluten Spitzengruppe der innovativen Branchen, vergleichbar mit dem Maschinenbau: Der Anteil aller Unternehmen der Branche, die Produkt- oder Prozessinnovationen eingeführt haben, ist in den vergangen Jahren gestiegen und lag 2015 bei 55 Prozent. Zwar lassen sich keine Aussagen zum Ausmaß der Innovationsaktivitäten auf dem Gebiet der intelligenten Textilien treffen, aber wir gehen davon aus, dass dieser Bereich gut für den nationalen und internationalen Wettbewerb aufgestellt ist.