Verkehrswende zur Bekämpfung der Klimakrise braucht in Corona-Zeiten die enge Kooperation von Kommunen, Bund und Ländern
VeranstaltungenDrittes #ZEWlive zur Corona-Pandemie
Die Corona-Krise und ihre gravierenden wirtschaftlichen Folgen stehen als Problem derzeit noch immer an erster Stelle. Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben bei politischen Entscheidungen oberste Priorität. Klimaexpertinnen und -Experten erinnern indessen zu Recht daran, dass auch die Erderwärmung als Menschheitsproblem nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat. Dies war Anlass für das ZEW im bereits dritten #ZEWlive, dem digitalen Format der ZEW-Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“, unter der Überschrift „Mannheimer Wege zu einer neuen Mobilität“ über die Corona-Krise, den Klimaschutz und die daraus entstehenden Herausforderungen für die Verkehrswende vor Ort zu diskutieren.
Moderiert von Julia Wadle, Redakteurin des Mannheimer Morgen, trafen in der Diskussionsrunde des #ZEWlive unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Gleichzeitig belebten Fragen der rund 160 Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich per Zoom in den digitalen Diskussionsraum eingeschaltet hatten, die Debatte. Die Diskutantinnen und Diskutanten waren ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach als Repräsentant der Wirtschaftsforschung sowie kommissarischer Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement“, Miriam Caroli, Vorständin des Carsharing-Anbieters „Stadtmobil Rhein-Neckar AG“, Christian Specht, Erster Bürgermeister der Stadt Mannheim, und die Fridays For Future (FFF)-Aktivistin Laura Hober. Die Online-Veranstaltung war Teil der Aktivitäten im Rahmen des BMBF-Begleitforschungsprojektes Dialog zur Klimaökonomie.
Der eigentlichen Diskussion vorangestellt war ein kurzes Impulsreferat des ZEW-Umweltökonomen Dr. Wolfgang Habla. Er erläuterte, dass Lärm, Stau, Luftschadstoffe und CO2-Ausstoß eine Verkehrswende erforderlich machen und stellte Überlegungen an, wie eine solche Wende vor Ort gelingen kann. Dabei kommt aus seiner Sicht dem Ausbau des ÖPNV große Bedeutung zu, der unter anderem durch eine CO2-Steuer oder eine City-Maut für Autos finanziert werden könnte. Und wo ließe es sich besser über Mobilität und mögliche Lösungskonzepte diskutieren als in Mannheim, der Stadt, in der das Laufrad und der Personenkraftwagen erfunden worden seien und die zudem eine der fünf deutschen Modellstädten für Stickstoffdioxidreduktion ist? Zentrale Fragen auf dem Podium waren daher an diesem Abend: Wie lässt sich aus Sicht der Teilnehmenden die Verkehrswende in Mannheim und der Metropolregion vorantreiben? Wie kann die Verkehrswende finanziert werden? Welche Wege hat die Stadt Mannheim bereits eingeschlagen und wie zielführend sind diese?
Teureres Autofahren und preiswertere Alternativen?
Achim Wambach sprach zunächst die Knappheit des öffentlichen Raumes als einen zentralen Punkt in der Debatte um Verkehrswende und Klimaschutz an. Innerhalb der Städte sehe man, dass Straßen und Parkplätze übernutzt seien, weshalb sie gebührenpflichtig werden. Dann verwies Wambach auf den öffentlichen Luft-Raum. Auch hier habe man anfänglich geglaubt, unendlich viel Platz für Feinstaub und Abgase zu haben, doch nun, da die Kapazitäten der Atmosphäre erschöpft seien, seien auch an dieser Stelle Gebühren wie eine CO2-Steuer oder die City-Maut eine logische Konsequenz. „Hier macht es Sinn, Preisinstrumente einzuführen“, sagte Wambach. Insbesondere für die City-Maut sieht er zudem das Potenzial, mit ihrer Hilfe Verkehrsflüsse in die Innenstädte steuern zu können. Werde es denn auch in 20 Jahren noch Autos geben? Wambach geht davon aus. Es gehe nicht darum, das Auto abzuschaffen, sondern vielmehr um die sinnvolle und klimagerechte Kombination verschiedener Fortbewegungsmöglichkeiten.
Auch für FFF-Aktivistin Laura Hober ist ein intelligentes Mobilitätsangebot der richtige Ansatz. Auch wenn sie nicht an die baldige Abschaffung des Autos glaube, sagte Hober, wünsche sie sich doch deutlich stärkere Investitionen in klimafreundliche Fortbewegungsmöglichkeiten, die zu einer zügigen Verringerung des Autoverkehrs beitragen könnten. Sie fordert daher, die Attraktivität des ÖPNV und des Fahrradfahrens zu erhöhen. Um dies zu erreichen, sei es erforderlich den ÖPNV weiter auszubauen und kostenlos anzubieten sowie den Ausbau der Mannheimer Radwege stärker voranzutreiben. „Wenn man durch die Stadt geht, hat man aktuell noch nicht das Gefühl, dass der Fokus der Stadt auf dem klimafreundlichen Verkehr liegt“, so Hober.
Mannheimer Wege in Corona-Zeiten
Der Erste Bürgermeister Mannheims, Christian Specht, gestand zwar weiteren Handlungsbedarf mit Blick auf eine Verkehrswende in Mannheim zu, machte aber auch darauf aufmerksam, dass es in Mannheim und Umgebung bereits vermehrt Radschnellwege sowie Fahrradstraßen gibt. Zudem seien in den vergangenen 20 Jahren drei neue Stadtbahnlinien hinzugekommen. Und es sei mittelfristig geplant, den Autoverkehr in den Quadraten weiter zu reduzieren. Auch in die Siedlungs- und Verkehrsplanung der weiteren Region würden Mobilitätsaspekte mittlerweile einbezogen, um die Wege der Bürger/innen zu den für sie wichtigen Angeboten sowie zu ÖPNV-Anschlüssen zu verkürzen. Momentan fehlten Corona-bedingt jedoch rund 200 Millionen Euro in der Stadtkasse. Dass ÖPNV-Attraktiveren und Carsharing jetzt nicht unter die Räder kämen, sei eine extrem große Herausforderung für die Stadt. „Wir brauchen einen finanziellen Rettungsschirm von Bund und Land , sonst können wir die Verkehrswende nicht so gestalten, wie es erforderlich ist“, erklärte Specht.
Miriam Caroli, Vorständin von „Stadtmobil Rhein-Neckar“, begrüßte zwar die bisherigen Maßnahmen der Stadt, insgesamt sprach sie sich aber für noch mehr Experimentierfreudigkeit aus. Auf die Frage, inwiefern die Corona-Krise die Lage verändert und die Prioritäten von der Bekämpfung des Klimawandels hin zur Eindämmung des Virus und der Stabilisierung der Wirtschaft verschoben habe, entgegnete sie, dass die Wirtschaft stets dem Gemeinwohl dienen solle. Man könne aber nicht von Gemeinwohl sprechen, wenn man sich selbst die Lebensgrundlage entziehe. Klimagerechtigkeit, Corona-Krise, Wirtschaft und soziale Fragen müssten also immer konsequent zusammen gedacht werden. Christian Specht pflichtete dem bei und ergänzte, dass die Wirtschaft gebraucht werde, um mit Innovationen dem Klimawandel entgegenzuwirken und die Energiewende zu schaffen, gleichzeitig aber auch unser aller Wohlstand zu sichern.
Mannheim im Jahr 2050
„Wo wir unbedingt noch besser werden müssen, um die Verkehrswende herbeizuführen, ist die Erhebung und Auswertung von Daten“, erklärte Achim Wambach. Es sei geradezu erstaunlich, wie wenig Daten es aktuell gebe. Wenn wir hier mehr wüssten, wäre dies enorm hilfreich. Wambachs Zukunftsvision für das Jahr 2050 beinhaltet daher auch, dass er als Bürger unmittelbar in Bezug auf die eigene Mobilität von einer besseren Datenverfügbarkeit profitieren könne. „Ich gehe vor die Tür und eine digitale App schlägt mir vor, welche Verkehrsträger ich jetzt nutzen sollte, um möglichst schnell und bequem an den Ort zu kommen, zu dem ich möchte.“ Laura Hober und Miriam Caroli legen den Fokus für die optimale Mobilität im Jahre 2050 vor allem auf eine autofreie Innenstadt mit sicheren und preiswerten alternativen Verkehrsträgern. Christian Specht wünscht sich eine Stadt, in der alle wesentlichen Angebote entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind und in der Verkehrssicherheit herrscht.