Deutsches Steuer- und Transfersystem erschwert Einkommenszuwächse für Geringverdiener

Forschung

Gerade in niedrig bezahlten Jobs lohnt sich Mehrarbeit häufig nicht.

Einkommenszuwächse von Geringverdienern werden in Deutschland stärker belastet als die von Spitzenverdienern. Grund hierfür ist das Zusammenwirken verschiedener Komponenten des Steuer-, Abgaben- und Transfersystems. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt hat.

Die Studie ermittelt für sechs unterschiedliche Haushaltstypen die Höhe der effektiven Grenzbelastung. Dieser Wert gibt an, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Euros, aufgrund von Beiträgen zur Sozialversicherung, Einkommenssteuern oder durch den Entzug von Sozialleistungen, wie Wohngeld oder Kinderzuschlag, wieder abgegeben werden müsste. Bei einer effektiven Grenzbelastung von 60 Prozent würden von einem zusätzlich verdienten Euro nur 40 Cent netto übrig bleiben.

Die ZEW-Wissenschaftler zeigen, dass Spitzenverdiener deutlich mehr von einem zusätzlich verdienten Euro behalten können als Geringverdiener. Die effektive Grenzbelastung verläuft für viele Einkommensschichten daher nicht progressiv, sondern lässt mit steigendem Einkommen sogar nach. So muss ein Singlehaushalt mit einem Jahresbruttoeinkommen von 17.000 Euro jeden zusätzlich verdienten Euro komplett abgeben, während bei einem Jahreseinkommen von 75.000 Euro von jedem zusätzlich verdienten Euro 56 Cent verbleiben. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Alleinerziehenden: Erst ab einem Einkommen von 41.000 Euro jährlich sinkt die Grenzbelastung  auf 44 Prozent; bei einem Einkommen von 23.800 Euro beträgt die Grenzbelastung dagegen 60 Prozent.

Um dieser sprunghaft steigenden Belastung für untere Einkommensgruppen entgegenzuwirken, ist die Debatte um den Mittelstandsbauch nur bedingt geeignet, da sie von viel größeren Fehlern im Gesamtsystem ablenkt. Eine Abschaffung des Mittelstandsbauchs würde in erster Linie hohe Einkommen begünstigen und zu hohen staatlichen Einnahmeverlusten führen. Stattdessen schlagen die Studienautoren eine bessere Abstimmung des Gesamtsystems aus Einkommensteuer, Sozialabgaben und Transferleistungen vor, um Beschäftigungsanreize für Geringverdiener zu schaffen. Eine Harmonisierung unterschiedlicher Transferleistungen, wie Kinderzuschlag, Wohngeld und Arbeitslosgengeld II, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Kombiniert mit einer konstanten Transferentzugsrate von 60 Prozent könnte dies zu positiven Beschäftigungseffekten und weniger Einkommensungleichheit führen.

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Prof. Dr. Andreas Peichl
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