VIPS - Vorschlag für ein gangbares Insolvenzverfahren für souveräne Staaten in der Eurozone

Forschung

Die Staatsschuldenkrise löste im Jahr 2010 eine Welle von manchmal übereilten Reformen aus, um den Euro und hoch verschuldete Staaten zu stabilisieren. Obwohl der institutionelle Rahmen in der Eurozone und seine Krisen-Reaktionsmöglichkeiten deutlich verbessert wurden, gibt es noch immer eine offene Flanke: Es fehlt ein glaubwürdiger und wohldefinierter Umschuldungsmechanismus für den Fall, dass ein Staat insolvent wird, am Kapitalmarkt also über keine Kreditwürdigkeit mehr verfügt. Eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, hat sich dieses Problems angenommen. Sie beschreibt ein praktikables Insolvenzverfahren für souveräne Staaten in der Eurozone - VIPS (Viable Insolvency Procedure for Sovereigns).

Das VIPS-Konzept des ZEW besteht aus zwei Säulen: Eine vertraglich festgeschriebene Insolvenzordnung für den Euroraum, die die Marktdisziplin auf lange Sicht wieder herstellt, sowie eine glaubhafte Übergangsphase bis zum endgültigen Inkrafttreten dieser Insolvenzordnung. VIPS vermeidet bewusst abrupte Maßnahmen, die die anhaltend fragile Lage in der Eurozone destabilisieren könnten, sondern führt über einen Übergangspfad hin zur Einführung eines europäischen Umschuldungsmechanismus. Die Existenz eines glaubwürdigen Umschuldungsmechanismus würde die immer noch vorhandenen Erwartungen privater Gläubiger, dass die anderen Staaten der Eurozone im Ernstfall hoch verschuldeten Ländern beistehen (Bailout), beseitigen und die Unsicherheiten in Bezug auf die Durchführung und die Ergebnisse einer Restrukturierung von Staatsschulden ausräumen.

Der ZEW-Vorschlag für ein Umschuldungsverfahren, das nach einer Übergangsfrist bei Erreichung festgelegter Kriterien aber spätestens zu einem genau festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft in Kraft tritt, orientiert sich zwar an früheren Vorschlägen, weicht aber an einigen Stellen von diesen ab oder konkretisiert und ergänzt diese.

Das vom ZEW vorgeschlagene Insolvenzverfahren sieht vor, dass Länder bei Liquiditätsengpässen zunächst diskretionär über die Aufnahme von an Bedingungen geknüpften Hilfskrediten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entscheiden. Kein Land soll von seinen Gläubigern zur Inanspruchnahme dieser Liquiditätshilfen oder gar zur Umschuldung gezwungen werden können. Sollte sich allerdings erweisen, dass die Liquiditätshilfen des ESM nach einer Schutzperiode von drei Jahren keine Stabilisierung der Schuldentragfähigkeit eines Landes herbeigeführt haben, muss das Land gemeinsam mit seinen Gläubigern, inklusive des ESM, über die Restrukturierung seiner Schulden verhandeln. Für diese Verhandlungen sollen klare, einklagbare Regeln gelten. Während der Verhandlungen gilt ein striktes Schuldenmoratorium das unter anderem eine Stundung aller Rückzahlungen bis zum Abschluss der Verhandlungen zur Folge hat. Die Einhaltung des Schuldenmoratoriums wird vom ESM und eventuell von der Troika aus EZB, Europäischer Kommission und IWF überwacht, damit keine Zahlungen getätigt werden können, die eine bestimmte Gruppe von Gläubigern bevorteilen. Aus einem ähnlichen Grund beinhaltet das VIPS-Konzept auch die flächendeckende Einführung so genannter aggregierter "Collective Action Clauses". Sie erlauben es einer qualifizierten Gläubigermehrheit über alle Anleihelinien hinweg, eine eventuelle Gläubigerminderheit zur Akzeptanz der Umschuldungsmodalitäten zu zwingen, ohne dass diese Gläubigerminderheit später gerichtlich gegen die Umschuldung vorgehen und auf Rückzahlung der ursprünglichen Schulden drängen kann. Schließlich wird die maximale Verlustquote der Gläubiger insofern beschränkt, als dass ein potenzieller Schuldenschnitt die Schuldenquote eines Landes nicht unter die Maastrichtgrenze von 60 Prozent des Brutto-inlandsprodukts (BIP) drücken darf.

Frühere Vorschläge gehen nicht oder nur unzureichend auf das Problem ein, dass die Einführung eines Umschuldungsmechanismus in Zeiten hoher Staatsschuldenstände und fragiler Banken zu einer weiteren Destabilisierung der Lage führen könnte. Daher wirbt der VIPS-Vorschlag für eine verzögerte Implementierung, die so genannte VIPS-Brücke. Die vorab beschriebenen Regeln des späteren Umschuldungsverfahrens sollen bereits heute festgeschrieben und verabschiedet werden. Inkrafttreten sollen sie allerdings erst, wenn vorher festgelegte quantifizierbare Kriterien, unter anderem eine bestimmte durchschnittliche Schulden-BIP-Quote,  im Euroraum erreicht wurden oder, sollten diese nicht rechtzeitig erreicht werden, spätestens zu einem ebenfalls im Vertragstext bereits festgelegten Datum (z.B. 2030). So lässt sich vermeiden, dass das Umschuldungsverfahren bei seiner Einführung die Lage auf den Staatsanleihemärkten im Euroraum weiter destabilisiert. Andererseits würden sich die im Moment noch eher reformwilligen Politiker auf ein langfristiges Verfahren und klare Kriterien für seine Einführung festlegen.

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