ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Schocks"
StandpunktDie vergangenen Jahre waren Zeugen weltweiter und gravierender wirtschaftlicher Störungen ("Schocks"), welche die Volkswirtschaften jedoch in sehr unterschiedlichem Ausmaß in Mitleidenschaft zogen. Im Zeitraum der Jahre 2003 bis 2008 hat sich der Rohölpreis gemessen in US-Dollar rund verfünffacht. Die realen Auswirkungen hielten sich in Deutschland in Grenzen, obschon gemäß einer ZEW-Studie dieser Ölpreisschock für sich genommen die Arbeitslosigkeit hierzulande nach oben getrieben hat (ZEW Discussion Paper 08-136). Ganz anders verhält es sich mit einem zweiten Schock. Aus einer regionalen Hypothekenkrise entwickelte sich ein weltweites Desaster in einer gigantischen Größenordnung. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds führte die US-amerikanische Hypothekenkrise zu einem Verlust dort in Höhe von etwa 250 Milliarden US-Dollar. Bis Ende des Jahres 2008 erwuchs daraus eine Werteinbuße auf den weltweiten Wertpapiermärkten, die sich auf mehr als das Hundertfache des ursprünglichen Schadens belief. Wie konnte sich die amerikanische Hypothekenkrise derart verstärken?
Im wesentlichen sind dafür zwei Multiplikatorwirkungen verantwortlich, der Liquiditäts- und Deleveragemechanismus. Zusammen mit der Intransparenz der neuartigen strukturierten Finanzprodukte und der hohen Fremdfinanzierung im Vergleich zum Eigenkapital ("Leverage-Effekt") führten beide Mechanismen dazu, dass die Hoffnung getrogen hatte, die US-Immobilienkrise könnte vergleichsweise leicht von den dortigen Finanzinstitutionen aufgefangen werden. Der Liquiditätsmechanismus ist "die heutige Version früherer Bank-Runs" (Olivier Blanchard). In Zeiten der Weltwirtschaftskrise und im letzten Jahr bei der Northern Rock Bank im Vereinigten Königreich bildeten sich lange Schlangen von Bankkunden, die ihre Guthaben auflösen und so ihr Geld in Sicherheit bringen wollten. Angesichts von Einlagensicherungssystemen brauchen die Anleger diesbezüglich weit weniger Befürchtungen zu hegen und haben sich hierzulande entsprechend besonnen verhalten. Die Bankmanager hingegen "rannten" bildlich gesprochen, um ihr Kreditinstitut mit Liquidität zu versorgen. Dies wurde angesichts der allgemeinen Unsicherheit darüber, wie viele Leichen - lies: toxische Wertpapiere die betreffende Bank im Keller hat, durch Refinanzierung auf den Geldmärkten immer schwieriger. Folglich haben die Banken Wertpapiere verkauft, deren Kurse sanken, mit der Folge, dass sich diese Kursverluste in den Bilanzen anderer Finanzinstitutionen niederschlugen, die daraufhin ebenfalls Wertpapiere verkauften, mit erneuten Kursverlusten, und so weiter. Damit kommt der zweite Verstärkungsmechanismus ins Spiel. Für Banken lohnt es sich bei niedrigen Zinsen und einer guten Ertragslage, die Rendite des Eigenkapitals durch eine steigende Fremdfinanzierung hochzuheben". Im wirtschaftlich prosperierenden Zeiten wird den Banken dieses "Leveraging" durch eine steigende Risikobereitschaft der Fremdkapitalgeber erleichtert und gegebenenfalls durch eine Ausweitung des Eigenkapitals auf Grund steigender Vermögenspreise gefördert. Kommt es nun zu einem Wertverlust der Aktiva, sinkt der Wert des Eigenkapitals und der des Hebels: Fremdkapital zu Eigenkapital steigt, mit der Folge, dass die Banken Aktiva verkaufen, um den Hebel wieder zurückzuführen ("Deleveraging"). Nicht zuletzt die in einer solchen Situation risikoscheuer agierenden Fremdkapitalgeber, aber zudem regulatorische Vorschriften sorgen dafür. Der Verkauf von Aktiva hat Kursverluste zur Folge, die sich wie oben beschrieben fortpflanzen und verstärken. Um sich den beiden Verstärkungsmechanismen entgegen zu stellen, haben die Zentralbanken und die staatliche Wirtschaftpolitik prinzipiell richtige Wege eingeschlagen. Die Zentralbanken fluteten die Geldmärkte mit Liquidität. Der Staat hat den Banken angeboten, sie mit Eigenkapital zu versorgen, um ein Deleveraging einzudämmen. Letzteres ist indessen nur unzureichend gelungen. Viele Banken sind heutzutage immer noch mit einem Solvenzproblem in Form einer zu geringen Eigenkapitaldecke konfrontiert.