Wie kann Deutschland von der Zuwanderung profitieren? - "Wir müssen uns der Zuwanderung geringqualifizierter Arbeitsmigranten stellen"
NachgefragtEin rasant wachsender Flüchtlingsstrom hält Deutschland in Atem und weckt Fragen, wie die Zuwanderung sinnvoll gesteuert werden kann. In der Politik gibt es Streit darüber, ob ein Zuwanderungsgesetz die richtige Antwort ist. ZEW-Arbeitsmarktökonom Prof. Dr. Holger Bonin erklärt, dass Deutschland für die Steuerung der Arbeitsmigration aus Drittstaaten schon jetzt sinnvolle Regeln hat, aber bei der ökonomisch motivierten Zuwanderung von Geringqualifizierten vor einer heiklen Wahl steht.
Deutschland wird inzwischen international mit klassischen Zuwanderungsländern wie den USA, Kanada und Australien verglichen. Ist die gesetzliche Steuerung der Zuwanderung von Arbeitskräften für unser Land ökonomisch sinnvoll?
Angesichts der enormen Herausforderung durch die aktuelle Flüchtlingswelle ist die ökonomisch motivierte Zuwanderung etwas aus dem Blickfeld geraten. Dabei zählt Deutschland nach den Reformen der vergangenen Jahre international zu den Ländern, die für Zuwanderung in den Arbeitsmarkt am weitesten geöffnet sind. Der Staat kann wegen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa den Großteil dieser Zuwanderung nicht mehr aktiv steuern. Die hohen Beschäftigtenquoten der EU-Zuwanderer zeigen, dass eine Steuerung aber auch über Marktkräfte gut funktionieren kann. Bei der Zuwanderung aus Drittstaaten hat sich der Gesetzgeber für ein sehr sinnvolles Prinzip entschieden: die nachfrageorientierte Steuerung. So bekommt der Nachweis adäquater Beschäftigung genügend Gewicht. Länder mit humankapitalorientierter Steuerung haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass primär nach Qualifikation ausgewählte Migranten beim Arbeitsmarkteinstieg Probleme haben und oft unter Qualifikation arbeiten. Daher hat Kanada sein Punktesystem vor kurzem auch völlig umgekrempelt und fährt nun im Kern wie Deutschland eine nachfrageorientierte Strategie.
Die Diskussion wird häufig unter dem Argument geführt, der demographische Wandel mache Zuwanderung unabdingbar, um einen drohenden Verlust von Humankapital auszugleichen. Gehen uns die qualifizierten Fachkräfte aus?
Wenn Märkte flexibel sind, kann es einen Fachkräftemangel auf Dauer nicht geben. Sicher würde die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland ohne Zuwanderung drastisch sinken. Die Wirtschaft hat aber Möglichkeiten darauf zu reagieren, etwa mit Innovationen oder höheren Löhnen. Dann passt sich die Nachfrage an das schrumpfende Angebot an, was für die einheimischen Arbeitskräfte sogar von Vorteil sein kann. Arbeitsmigration ist keine notwendige, aber eine mögliche Antwort auf den demographischen Wandel. Ökonomische Vorteile ergeben sich vor allem dann, wenn Talente aus dem Ausland das Humankapital in einem Land nicht einfach nur vergrößern, sondern mehr Vielfalt hinein bringen.
An welche Vorteile denken Sie?
Neue Ideen, die mit den Migranten ins Land kommen, können die Wirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad heben. Zudem machen Zuwanderer, die gut in den Arbeitsmarkt integriert werden, die öffentlichen Finanzen tragfähiger. Wer einen Arbeitsplatz findet, bei dem das Einkommen über den für die Blaue Karte EU für Hochqualifizierte geltenden Grenzen liegt, zahlt im Normalfall mehr an Steuern und Beiträgen, als der Staat zusätzlich ausgibt. Die aktuellen Überschüsse im Staatshaushalt sind nicht zuletzt das Ergebnis der jüngsten Beschäftigungsrekorde, die Deutschland ohne eine qualifizierte Zuwanderung
nicht erreicht hätte.
Was machen wir eigentlich mit Zuwanderern, die nicht gut qualifiziert sind, aber trotzdem kommen?
Da muss man differenzieren. Soweit es sich um anerkannte Flüchtlinge handelt, braucht man zur raschen Arbeitsmarktintegration einen gesicherten Aufenthaltsstatus und Qualifizierung. Die Jobcenter sollten so früh wie möglich auf Asylsuchende mit Bleibeperspektive zugehen, Kompetenzen erfassen und dann verbindliche individuelle Qualifizierungspläne entwickeln. Das kostet erst einmal Geld, aber wenn man hier spart, werden die Kosten für Staat und Gesellschaft am Ende nur noch höher. Bei den übrigen Fällen steht man vor einer heiklen Wahl. Man kann versuchen, Zuwanderer, die ökonomisch motiviert sind, aber keine gesuchten Qualifikationen mitbringen, konsequent zurück zu schicken oder gar nicht erst ins Land zu lassen. Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsländern nimmt das aber vermutlich zu wenig Druck aus dem Kessel. Die gewiss nicht populäre Alternative ist, dem Druck ein Stück weit nachzugeben und den deutschen Arbeitsmarkt über Kontingente kontrolliert auch für diese Gruppe wenigstens einen Spalt weit zu öffnen.