Die Grundlage der europäischen Industrie muss Innovation sein

Nachgefragt

Wie kann Europa eine gemeinsame Industriepolitik angehen?

Dr. Christian Rammer, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“, analysiert die Zukunftsaussichten der europäischen Industriepolitik.

Europa sei abgehängt bei der Digitalisierung, verschlafe die Industrie 4.0 und müsse sich außerdem vor der Konkurrenz aus China fürchten – dies ist der Tenor der aktuellen Diskussion um Europas Industriepolitik.

Dr. Christian Rammer, stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim erklärt, ob es tatsächlich so schlecht steht um Europas Industrie und was die EU künftig besser machen kann.

China wird von der EU mehr und mehr als Rivale gesehen in Bereichen, auf denen das Wachstum vieler Industrieländer beruht. Muss sich Europas Wirtschaft vor dem Reich der Mitte fürchten?

China ist in erster Linie ein immer wichtigerer Absatzmarkt für die europäische Industrie. Die Nachfrage aus China war und ist eine wesentliche konjunkturelle Stütze für die EU-Wirtschaft. Und die europäischen Konsumenten/-innen profitieren von den günstigen Produkten, die in China hergestellt werden. Dass chinesische Unternehmen zunehmend in europäische Unternehmen investieren oder diese übernehmen, ist nur ein Ausdruck der intensiveren Wirtschaftsbeziehungen. Dass China verstärkt in neue Technologien investiert und auf die großen Zukunftsthemen setzt, verbessert die Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Denn eine moderne industrielle Produktion beruht auf Spezialisierung und enger Arbeitsteilung. Wenn chinesische Unternehmen mehr Hochtechnologie herstellen, fragen sie auch mehr an hochtechnologischen Inputs nach, und Produzenten in Europa können von günstigen und qualitativ hochwertigen Vorprodukten aus China profitieren. Letztlich ist es dieser intraindustrielle Handel, der bei allen Beteiligten zu Produktivitätsfortschritten und damit Wohlstandsgewinnen führt.

Was sollte die EU gerade mit Blick auf China und die weltweite Konkurrenz unternehmen, um seine industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?

Die Grundlage der europäischen Industrie muss letztlich Innovation sein. Das bedeutet nicht nur neue Technologien und neue Produkte, sondern auch die Stärkung von Service-Angeboten, effizientere und besser organisierte Prozesse sowie die Nutzung aller Möglichkeiten der Digitalisierung. Innovationen müssen dabei immer Nutzerbedürfnisse und Marktchancen im Auge haben. Die Förderung von Innovationen durch nationale Regierungen ebenso wie durch die EU-Kommission legt oft einseitig einen Fokus auf die Entwicklung neuer Technologien. Wichtig aber ist, ein Gesamtpaket an innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen zu schnüren. Dabei spielen Bildung, Infrastrukturen, bürokratiearme Regulierungen und offene Märkte eine große Rolle.

Chinas Staatskonzerne fusionieren zu scheinbar übermächtigen Wirtschaftsriesen, etwa im Energiebereich, im Transport- oder Chemiesektor. Ist dieses Vorgehen auch für Europas Industrie denkbar?

Der Konzentrationsprozess in China muss vor dem Hintergrund der enormen Landesgröße gesehen werden. Die Dominanz von Großunternehmen ist dort in vielen Sektoren bei weitem noch nicht so stark wie in Europa oder den USA. In vielen Branchen gibt es in Europa bereits sehr große Konzerne, die zu den weltweit führenden Unternehmen zählen, etwa im Automobilbau, in der Chemie, im Pharmabereich oder in der Nahrungsmittelindustrie. Ein weiterer Zusammenschluss in diesen Branchen kann für den Wettbewerb in Europa schädlich sein. Gleichzeitig ist es keineswegs gesichert, dass die so entstehenden „European Champions“ wettbewerbsfähiger sind. Mit der Größe wächst auch die Schwerfälligkeit. Die EU sollte daher lieber die Wachstumsmöglichkeiten und den Marktzugang der kleinen und mittleren Unternehmen verbessern.

Auch im Vergleich zu den USA gilt Europa eher als abgehängt, zumindest mit Blick auf die digitalen Geschäftsmodelle. Was kann Europa tun, um mithalten zu können?

Bei digitalen Angeboten haben US-Unternehmen im Vergleich zu europäischen einen enormen Vorteil, nämlich den großen, sprachlich und kulturell homogenen Heimatmarkt. Das erlaubt frühzeitig die Nutzung von Netzwerkeffekten und ein rasches Hochskalieren von digitalen Geschäftsmodellen. Von dieser starken Basis aus lassen sich dann auch andere Märkte leichter bearbeiten. Europa ist aufgrund der sprachlichen Vielfalt und der unterschiedlichen Nachfragepräferenzen für viele digitale Anwendungen im B2C-Bereich kein einheitlicher Markt. Das erschwert vor allem digitalen Startups im Vergleich zu ihren US-amerikanischen Konkurrenten das Leben. Für Europa macht es Sinn, im digitalen Bereich vor allem auf B2B-Angebote und industrielle Anwendungen zu setzen. Und bei Industrie 4.0 steht Europa keineswegs schlechter da als die USA oder Asien.

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Kathrin Böhmer
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