Können Algorithmen eine bessere Kitaplatzvergabe ermöglichen?
NachgefragtInterview mit ZEW-Ökonom Thilo Klein
Ein akuter Mangel an Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten, komplizierte Anmeldeverfahren und intransparente Vergabekriterien: Das führt zu beruflicher Planungsunsicherheit für Eltern und deren Arbeitgebern, zu Benachteiligungen bildungsferner Haushalte und zu vermeidbarem Verwaltungsaufwand für Kita-Personal.
Im Interview erklärt Marktdesignexperte Prof. Dr. Thilo Klein ein neues Verfahren, das von Ökonomen des ZEW, der Universität Münster und der University of Oxford pilotiert wird, und eine schnelle, faire und transparente Platzvergabe möglich macht. Das Projekt wurde vom ZEW-Förderkreis mit dem Preis für das beste wirtschaftspolitische Beratungsprojekt am ZEW in 2021/22 ausgezeichnet.
Warum ist die Kita-Vergabe ein Problem?
In den bisher in Deutschland verwendeten Verfahren verschicken Kitas ihre Angebote unabhängig und unkoordiniert. Probleme entstehen dann, wenn sich Eltern einerseits gezwungen sehen, ein frühes, unattraktives Angebot um der Sicherheit willen anzunehmen, oder andererseits, wenn sie in Erwartung eines besseren Angebots vorübergehend mehrere Plätze halten und diese damit für andere Familien blockieren. Der erste Aspekt führt zu einer unfairen Verteilung, in der es Bewerber gibt, die „berechtigten Neid“ auf andere Bewerber haben. Etwa weil ein Kind keinen Platz in der Kita seiner Geschwister bekommt, obwohl es dort aufgrund des Geschwisterstatus Vorrang hätte. Der zweite Aspekt verlangsamt das Aufnahmeverfahren und führt zu Unsicherheiten auf Seiten der Eltern und Arbeitgeber.
Woran scheitern bisherige Lösungsansätze?
Eine mögliche flächendeckende Lösung des Problems ist die Einführung einer zentralen Clearingstelle. Eine solche Clearingstelle ist die Plattform Hochschulstart bei der Studienplatzvergabe, die Ranglisten der Bewerber/innen und Hochschulen erhebt und damit eine gut durchdachte Platzvergabe gewährleistet. Kitas sind aber oft nicht in der Lage, vollständige Ranglisten über Bewerber an eine zentrale Clearingstelle zu übermitteln. Eine wichtige Rolle spielt die Berücksichtigung sogenannter Komplementaritäten, wie der gewünschten Geschlechter- und Altersmischung in den Betreuungsgruppen. Diese lassen sich nicht so einfach über Ranglisten ausdrücken.
Was ist an der neuen Lösung besonders?
Der in der Softwareanwendung implementierte Mechanismus weicht von der Literatur zur „Theorie der stabilen Verteilungen“ ab, indem er es den Kitas weiterhin ermöglicht, dezentralisierte Angebotsentscheidungen zu treffen. In dem iterativen Verfahren bekommen die Kita-Leitungen in jeder Runde die noch interessierten Bewerber auf einer Softwareplattform angezeigt und registrieren ihre Platzangebote. Damit werden Komplementaritäten berücksichtigt, da Kitas ihre Angebote von Platzzusagen aus vorhergehenden Runden abhängig machen können. Gleichzeitig wird eine schnelle und faire Zuordnung erzielt, indem die Plattform die Entscheidungen der Eltern automatisiert und in jeder Runde jeweils nur das beste Angebot für sie hält. Alle anderen Angebote werden direkt ablehnt. Der Mechanismus verbindet damit die Vorzüge einer zentralen Vergabe mit denen der dezentralen Vergabe.
Mit Blick auf die Geschwindigkeit zeigt die Studie, dass sich die Kitaplätze mit dem Verfahren in etwa einer Stunde mit rund sechs bis zehn Runden vergeben lassen – in Großstädten genauso schnell wie in Kleinstädten. Das lässt sich mit den Präferenzen der Eltern für nahgelegene Kitas erklären. Auch Großstädte bestehen somit aus vielen lokal begrenzten Kita-Märkten. Bezüglich der Fairness zeichnet die Studie ein differenziertes Bild: In den Pilotstädten reduziert das neue Verfahren die Anzahl der Bewerber mit berechtigtem Neid lediglich um die Hälfte, verglichen mit dem zuvor verwendeten Verfahren. Das ist der Preis der Träger- und Kita-Autonomie. Mit einem zentralen Verfahren ließe sich berechtigter Neid zwar vollständig vermeiden. Die Entscheidungsfreiheit der Kitas würde damit aber so stark eingeschränkt, dass es für 20 Prozent der Kitas nicht attraktiv wäre, freiwillig an dem zentralen Verfahren teilzunehmen.
Das Verfahren wurde in Abstimmung mit Eltern, Trägern und Kommunen entwickelt, spieltheoretisch analysiert, in Open-Source-Software umgesetzt und bisher in fünf deutschen Klein-, Mittel- und Großstädten erfolgreich eingeführt. Die im Rahmen des Projekts entwickelte Software-Lösung ergänzt bestehende Kita-Verwaltungsplattformen und lässt sich einfach über Schnittstellen an diese anbinden.