Mittelstand unter Druck
VeranstaltungsreihenWirtschaftspolitik aus erster Hand in Stuttgart zu Unternehmen in der Transformation
Die Unternehmen in Deutschland kommen nicht aus dem Krisenmodus. Egal ob Fachkräftemangel, Klimaneutralität, Datenschutz oder Lieferkettengesetz: Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen mehr denn je investieren. Das setzt vor allem den deutschen Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft unter Druck. Am 27. Juni 2023 erklärte die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut bei der Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ in der BW-Bank Stuttgart, dass der Mittelstand die Herausforderungen bewältigen kann, wenn die Politik ihn unterstützt und nicht behindert. Wie das in der Praxis aussehen könnte, berichteten zwei Unternehmer/innen aus Baden-Württemberg. Die Veranstaltung wurde durch eine gemeinsame Kooperation zwischen dem ZEW Mannheim und dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg ermöglicht.
„Deutschland ist im Standortranking auf Platz 18 von 21 abgerutscht. Die Frage lautet: Ist es noch attraktiv, in den Standort Deutschland zu investieren? Unsere Studien zeigen, dass die Anreize zum Investieren in den Standort sinken“, fasst ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach den Status quo in seinem Impulsvortrag zusammen. Es gibt aber auch gute Nachrichten: „Eine Deglobalisierung ist nicht in Sicht. Die Abhängigkeit von Russland oder China kann auf lange Sicht reduziert werden, ohne einen Wohlstandsverlust zu erleiden. Diversifizierung ist das Thema der Stunde.“
Deutsche Wirtschaft in der Krise
„Für unser Unternehmen sind Bürokratiemonster wie das Lieferkettengesetz, aber auch das Gebäudeenergiegesetz nur schwer stemmbar. Die Industrie in Deutschland braucht andere Lösungen“, sagt Dr. Klaus Geißdörfer (CEO EBM Papst, Mulfingen). Die Menge an Transformationsprozessen und Regularien sind laut Geißdörfer sehr kostspielig und für viele Unternehmen aus dem Mittelstand nicht realistisch umsetzbar. Sein Appell: „Wir müssen uns überlegen, wie wir mit den Gesetzen umgehen, die unser Wachstum schmälern und die Übersetzung von Forschung in funktionierende Geschäftsmodelle behindern.“
Dr. Gitte Neubauer (CEO und VP Omics Sciences Cellzome, Heidelberg) berichtet davon, dass die Bürokratisierung und der Datenschutz große Standortnachteile für Deutschland sind. „Fachkräfte und innovative Start-ups fehlen. Andere Standorte sind im Bereich Arzneimittelforschung deutlich attraktiver. Der Datenschutz ist hierzulande zu stark und verhindert eine effektive Nutzung der Daten für Forschungszwecke“, mahnt sie. Für den internationalen Wettbewerb ist es ihrer Meinung nach wichtig, dass die Konkurrenzfähigkeit erhalten bleibt: „Wir sollten alles Nötige dafür tun, dass wichtige Schlüsselindustrien nicht ins Ausland abwandern. Die Standortattraktivität sollte erhöht werden.“
Wo die Politik an Grenzen stößt
„Wir haben eine technische Rezession. Im Kernbereich der Industrie erleben wir einen schleichenden Rückgang. Die Probleme werden gesehen und müssen jetzt angegangen werden“, erklärt Ministerin Hoffmeister-Kraut zu Beginn der Veranstaltung. Ihrer Meinung nach müssen die Unternehmen vom Staat unterstützt werden, um durch die gegenwärtigen Krisen geführt zu werden. Gleichzeitig zeigt sie auch die Herausforderung für die gesamte Gesellschaft auf: „Wir müssen weniger anfällig für Krisen werden. Wir müssen die Chancen von neuen Technologien und der Digitalisierung nutzen. Dadurch entsteht neues Wachstum und Probleme wie der Klimawandel werden beherrschbarer.“
„In der Bildung, bei der Rente, bei den Behörden: Deutschland muss in einen anderen Modus schalten. Es braucht einen neuen gesellschaftlichen Konsens und den politischen Willen, um den Wandel zu beschleunigen“, stellt Hoffmeister-Kraut fest. Zusätzlich hebt sie hervor, dass der Standort Deutschland in Bezug auf die Energieversorgung Nachholbedarf hat. „Beim Thema Energie müssen wir ideologiefrei rangehen und dafür sorgen, dass genug günstige Energie für die Industrie zur Verfügung steht. Die aktuelle Regulierungswut ist nicht die Lösung. Die Unternehmen brauchen mehr Freiheit bei der Umsetzung ihrer Ideen“, sagt Hoffmeister-Kraut abschließend.