EU-Digitalpolitik: Rückstände in der digitalen Transformation aufholen

EU lässt Potenziale der Digitalisierung ungenutzt

Digitale Technologien gelten als Schlüsseltechnologien, die auch für die Weiterentwicklung anderer Technologiebereiche sowie für zahlreiche Branchen eine wichtige Rolle spielen. Deutschland und die EU weisen deutliche Schwächen bei Entwicklung und Einsatz digitaler Technologien auf. Dies zeigt sich auch bei der Künstlichen Intelligenz (KI), die sich aktuell sehr dynamisch entwickelt. Innovations- und Produktivitätspotenziale durch Digitalisierung bleiben daher ungenutzt, was als ein wesentlicher Grund für die Innovationslücke und Wachstumsschwäche gilt, die Europa und insbesondere Deutschland im Vergleich zu den USA aufweisen. Dabei fühlen sich über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland von außereuropäischen Anbietern digitaler Technologien und Anwendungen abhängig. Als Gründe werden vor allem fehlende europäische Alternativen sowie die technologische Überlegenheit außereuropäischer Anbieter genannt (siehe Grafik). Der Zugang zu digitalen Technologien ohne einseitige Abhängigkeiten und die Kompetenzen, diese Technologien weiterzuentwickeln und anzuwenden, ssind Voraussetzungen eines digital souveränen Europas. Diese gewinnt nicht zuletzt vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen an Bedeutung.

Der regulatorische Rahmen für die Digitalisierung wird maßgeblich in Brüssel gesetzt, wie die Beispiele Digital Markets Act (DMA), Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) oder aktuell die KI-Verordnung zeigen. Abgesehen von der Vielzahl an Regularien werden bei deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten häufig unterschiedliche Freiheitsgrade genutzt, die einer einheitlichen Anwendung entgegenstehen. Dies kann die Entwicklung und den Einsatz digitaler Technologien und damit Innovationen hemmen. Zudem werden dadurch die Vorteile, die ein digitaler Binnenmarkt bieten sollte, eingeschränkt.

Empfehlungen

Investieren und innovationsfreundlich regulieren

In digitale Infrastruktur investieren und digitale Souveränität stärken

Rechenkapazitäten sind die Grundlage für die Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien und insbesondere für Anwendungen der KI. Zwar ist der Vorsprung der US-amerikanischen Digitalkonzerne kaum aufzuholen und Europa wird auch in Zukunft auf deren Ressourcen angewiesen sein. Jedoch sollte Europa auch in die eigenen Kapazitäten investieren. Dies stärkt die digitale Souveränität und geht mit dem Aufbau und Vorhalten von notwendigen Kompetenzen einher. Für Forschung und Entwicklung im Bereich KI und Quantencomputing ist dies eine wichtige Voraussetzung. Im Rahmen von Public Private Partnerships sollten öffentliche Investitionen in Recheninfrastrukturen, wie sie etwa im Rahmen des European High-Performance Computing Joint Undertaking erfolgen, durch private Investitionen ergänzt werden.

Regulatorischen Rahmen innovationsfreundlich ausgestalten

Derzeit steht die Implementierung der KI-Verordnung in den EU-Mitgliedstaaten im Fokus. Hier gilt es, eine ausgewogene Balance zwischen Rechtssicherheit einerseits und der Schaffung und Ausschöpfung von Innovations­potenzialen andererseits zu finden. Zudem sollte die Umsetzung kohärent mit anderen Regularien wie der DSGVO verbunden werden. Praxistaugliche Leitfäden können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dabei unterstützen, KI-Lösungen rechtskonform zu entwickeln und anzuwenden. Die Bundesnetzagentur, die als koordinierende Institution für die Umsetzung der KI-Verordnung in Deutschland vorgesehen ist, sollte stets die Anschlussfähigkeit an die EU-Ebene im Blick behalten.

Reallabore spielen eine wichtige Rolle, um den Einsatz innovativer Lösungen zu testen, auch unter temporärer Aussetzung rechtlicher Regeln. Dadurch können sowohl die KI-Lösungen selbst verbessert als auch die Regeln der KI-Verordnung im Laufe der Zeit durch „regulatorisches Lernen“ auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse angepasst werden. Die Möglichkeit zur Anpassung sollte ein zentrales Element bei der Umsetzung der KI-Verordnung sein, um der dynamischen technologischen Entwicklung der (generativen) KI gerecht werden zu können.

Zugang zu Daten und Möglichkeiten der Nutzung verbessern

Die Anwendung digitaler Technologien und insbesondere von KI-Modellen erfordert den Zugang zu Daten. Eine Vereinfachung und Harmonisierung der Regulierung beim Umgang mit Daten kann insbesondere für KMU hilfreich sein. Sogenannte „Data Brokers“, wie sie im Data Governance Act vorgesehen sind, sollten Unternehmen dabei unterstützen, die Vereinbarkeit mit europäischen Regularien zu prüfen und herzustellen. Allerdings sollten entsprechende Prozesse unbürokratisch und schnell erfolgen.

Initiativen wie der European Health Data Space können durch das Zusammenführen von Daten, in diesem Fall Gesundheitsdaten, zur Entwicklung besserer Diagnosen und Therapien beitragen. Allerdings weisen die EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Branchenstrukturen und komparative Vorteile auf. So hat beispielsweise die deutsche Wirtschaft Stärken und damit auch vielversprechende Daten im Bereich Industrie 4.0. Daher sollten die Akteure in den Mitgliedstaaten auch eigene Prioritäten setzen und entsprechend spezialisierte KI-Modelle entwickeln. Europa als Ganzes gewinnt, wenn diese spezialisierten Lösungen in der Breite des europäischen digitalen Binnenmarkts genutzt werden können.

Wissenschaftlicher Kontakt