ZEW-Präsident Achim Wambach zur technischen Rezession

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD, vertritt den Standpunkt, dass 2019 kein Krisenjahr wird, die Politik aber dennoch handeln muss.

Es ist einer der längsten Aufschwünge der Nachkriegsgeschichte. Seit 2009 wächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland Jahr für Jahr. Das BIP pro Kopf ist heute 33 Prozent größer als noch vor zehn Jahren. Dieser Aufschwung ist jedoch ins Stocken geraten. Es ist wahrscheinlich, dass nach einem Rückgang des BIP im zweiten Quartal um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal das BIP-Wachstum auch im dritten Quartal negativ sein wird. Die Verkündung dieser „Technischen Rezession“ – ein Rückgang des BIP in zwei aufeinander folgenden Quartalen – obliegt dem Statistischen Bundesamt, das am 14. November die Quartalszahlen veröffentlicht. Sollte die Regierung Maßnahmen ergreifen, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen?

Eine Bestandsaufnahme zur aktuellen wirtschaftlichen Lage liefert das aktuelle Jahresgutachten des Sachverständigenrats. Die weltweite Konjunktur hat sich deutlich abgekühlt, auch in Deutschland. Dabei ist die Wirtschaft in Deutschland konjunkturell weiterhin zweigeteilt. Während sich die Industrie in der Rezession befindet, ist der Dienstleistungsbereich robust. Die Auftragseingänge in der Industrie versprechen keine schnelle Besserung der konjunkturellen Lage und die politischen und ökonomischen Risiken machen Investitionen trotz des Niedrigzinsumfeldes unattraktiv.

 Die schlechte Stimmung in der deutschen Wirtschaft spiegelt auch der ZEW-Lageindikator wider. In der Umfrage bei Finanzmarktexperten von Oktober ist die Einschätzung der konjunkturellen Lage für Deutschland auf den niedrigsten Wert seit April 2010 gefallen. Optimismus sieht anders aus. Auch die ZEW-Konjunkturerwartungen sind weiter gefallen, immerhin im Vergleich zum September aber nur leicht. Das Risiko für einen Konjunktureinbruch, etwa durch weitere Eskalationen im internationalen Handelskonflikt, wird als geringer angesehen als noch im Sommer.

 Erfreulicherweise ist der Arbeitsmarkt robust. Die Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent im Oktober ist auf dem niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Ebenfalls erreichen die Erwerbstätigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Rekordniveaus, auch wenn ihr jüngster Anstieg nicht mehr so stark war wie in den vergangenen Jahren. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Arbeitslosenzahlen massiv ansteigen werden, selbst wenn die Wirtschaft sich weiter eintrübt. Ein Grund dafür ist, dass die Beschäftigungsentwicklung seit der Krise 2009 weniger an konjunkturelle Schwankungen gekoppelt ist.

2019 wird kein Krisenjahr

Wie schlimm wird es also? Für das laufende Jahr erwarten sowohl die Bundesregierung als auch der Sachverständigenrat ein positives Wachstum von 0,5 Prozent. Für 2020 prognostiziert die Bundesregierung ein Prozent und der Sachverständigenrat 0,9 Prozent. Das sind zwar keine Spitzenwerte, aber zur Erinnerung: Im Krisenjahr 2009 brach die Wirtschaft um 5,7 Prozent ein. Tatsächlich hilft ein Blick auf vergangene Rezessionen, um die jetzige Wirtschaftsabschwächung einzuordnen. Seit 1949 durchlief die Bundesrepublik Deutschland sieben Jahre mit negativem Wachstum: erstmalig nach dem Wirtschaftswunder im Jahr 1967, dann 1975 und 1982 als Folgen der Erdölkrisen, 1993 nach dem wiedervereinigungsbedingten Aufschwung, 2002 und 2003 nach dem Platzen der Internetblase, und schließlich in der Weltwirtschaftskrise 2009. Auch wenn wir jetzt in eine technische Rezession laufen sollten, so wird doch 2019 nicht mit diesen Jahren in eine Reihe gestellt werden, da für das ganze Jahr gesehen das Wachstum vermutlich positiv sein wird. Der konjunkturelle Druck ist also überschaubar.

 Sorge bereiten hingegen zwei Entwicklungen, die die konjunkturelle Eintrübung überlagern, und die es schwer machen, zu prognostizieren, wann wir wieder zu einem robustem Wachstumspfad zurückkehren werden: der Strukturwandel im Automobilsektor sowie der Rückgang des Produktivitätswachstums. Der zu erwartende Rückgang bei den Verbrennungsmotoren, die Umstellung auf Elektro- und Hybridfahrzeuge, sowie die Entwicklungen der Datenökonomie, etwa beim autonomen Fahren, stellen die Automobilunternehmen und ihre Zulieferer vor gewaltige Herausforderungen. Gleichzeitig mit diesem Strukturwandel ist ein Rückgang des Produktivitätswachstums in Deutschland zu beobachten. Während in den Jahren 1980 bis 1990 die Wirtschaft durchschnittlich um 2,6 Prozent wuchs, waren es von 2000 bis 2010 nur noch 0,9 Prozent. Dazu passt die Beobachtung, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen seit Jahren ihre Innovationsausgaben im Gegensatz zu den Großunternehmen nicht steigern.

Strukturelle Herausforderungen erfordern Investitionen

Die Regierung sollte also agieren, aber an den richtigen Stellen ansetzen. Das primäre Problem ist nicht die Konjunktur, weshalb Konjunkturprogramme zu diesem Zeitpunkt wenig hilfreich sind. Ebenso wenig verlangt die wirtschaftliche Lage ein Aufweichen der Schuldenbremse. Hinzukommt, dass die in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse im Gegensatz zur schwarzen Null eine Schuldenausweitung aus konjunkturellen Gründen explizit zulässt.

 Wichtig wird es sein, Maßnahmen einzuleiten, um die Herausforderungen des doppelten Strukturwandels – Energiewende und Digitalisierung – zu bewältigen. Deshalb haben diejenigen Recht, die stärkere Investitionen in die Infrastruktur fordern. Man sollte aber auch hier realistisch bleiben. Die öffentliche Bautätigkeit ist 2018 bereits um 10,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Und der allseits geforderte Ausbau von Breitbandnetzen, oder Schul- und Straßensanierungen treffen auf eine ausgelastete Bauindustrie, was sich zunächst in steigenden Preisen zeigen wird. Bereits jetzt sind die Kosten für den Straßenbau um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

 Die Maßnahmen im Klimaschutzpaket der Bundesregierung, wie z.B. der Ausbau der Ladesäulen und weitere Forschung im Wasserstoffsektor werden dazu beitragen, den Strukturwandel zu bewältigen. Darüber hinaus ist die in die Wege geleitete steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung ein hilfreiches Instrument, um die Innovationstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen anzukurbeln und damit die Produktivität wieder in bessere Bahnen zu lenken. Die Aufregung um die konjunkturelle Abkühlung sollte nicht den Blick davon ablenken, dass die Aufgaben zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands vielfältig und anderer Natur sind. Die strukturellen Herausforderungen sind die wahren Probleme, denen Deutschland entgegenwirken muss, damit aus einer aktuellen technischen Rezession nicht eine dauerhafte Wachstumsschwäche wird.

 

Dieser Beitrag ist am 11. November 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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