Exportweltmeister – na und?
StandpunktViele lernen es bereits in der Schule kennen: das Magische Viereck. Während drei der vier Ziele des "Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" (StabG) unmittelbar nachvollziehbar sind – Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum – macht es einem das vierte Ziel – außenwirtschaftliches Gleichgewicht – ungemein schwer.
Wann ist eine Volkswirtschaft in einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht? Jahrelang wurde der Titel "Exportweltmeister" in Deutschland gefeiert. Steht das im Widerspruch zum StabG? Und warum hat die EU-Kommission in ihrem "Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht" einen Leistungsbilanzsaldo von mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Warnsignal formuliert? Deutschland hatte 2016 einen Saldo von knapp neun Prozent zu verzeichnen. Hat die Trump-Regierung, wie übrigens ein paar Jahre vorher auch die Obama-Regierung, Recht, wenn sie die Deutschen für ihren Überschuss kritisiert? Ein Handelsüberschuss, oder korrekter ein Leistungsbilanzüberschuss ist weder uneingeschränkt positiv noch ist ein Leistungsbilanzdefizit uneingeschränkt negativ zu bewerten, auch wenn die Begriffe dies suggerieren. Dies zeigt sich schon daran, dass ein Leistungsbilanzüberschuss automatisch mit einem Kapitaltransfer ins Ausland verbunden ist. Die bei einem Pkw-Export in die USA erhaltenen Dollar können für amerikanische Güter ausgegeben werden – wodurch sich Im- und Exporte ausgleichen – oder in den USA angelegt werden. Diese Anlage ist die Kehrseite des Exportüberschusses. Da ein Großteil der deutschen Exporte nach Europa geht, wundert es deshalb nicht, dass Deutschland 2015 der größte Nettokreditgeber der EU-Staaten war.
Es gibt gute Gründe für ein Land, Kapital im Ausland anzulegen. Wie in einem Haushalt Geld angespart wird, um zu einem späteren Zeitpunkt auf die Erträge zurückzugreifen, wird ein Land, in dem der demographische Wandel zu einer höheren Zahl an Rentnern führt, verstärkt Kapital ansparen. Und wenn die Renditechancen im Ausland höher sind, ist es auch folgerichtig, dass dieses Kapital nicht nur im eigenen Land investiert wird.
Es gibt weitere Effekte, die den Kapitaltransfer und den Exportüberschuss verstärken. Die Löhne in Deutschland sind seit 2000 weniger stark gestiegen als in anderen Euro-Staaten, was die deutschen Produkte relativ verbilligt hat. Als Folge der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist der Euro relativ schwach gegenüber dem Dollar bewertet, was europäische Produkte verbilligt und Exporte fördert. Der gemeinsame Leistungsbilanzsaldo der Eurostaaten im Jahr 2016 von 3,7 Prozent ist beachtlich, allerdings weniger auffällig.
"Es ist sinnvoll, einen übermäßigen Leistungsbilanzüberschuss zu vermeiden"
Das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts im StabG wurde zu einer Zeit eingeführt, als sich die Deutsche Mark in einem festen Wechselkurs zum Dollar befand. Auf- und Abwertungen standen damit nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung, um außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zu korrigieren. Auch heute ist es sinnvoll, im Hinblick auf die Stabilität in Europa einen übermäßigen Leistungsbilanzüberschuss zu vermeiden. Ein Teil des Überschusses wird sich über die Zeit automatisch abbauen. In dem Maße, in dem die Löhne in Südeuropa stagnieren und in Deutschland steigen, werden deutsche Produkte relativ teurer und die deutschen Exporte gehen zurück. Auch aus demographischen Gründen wird der Überschuss zurückgehen, aber dies kann noch einige Zeit dauern. Eine Studie des ZEW geht von einem Abbau des Leistungsbilanzüberschusses in Folge eines demographiebedingten Rückgangs der Sparquote in den nächsten Jahrzehnten aus.
Ungeachtet dieser Entwicklungen haben Kritiker Deutschlands nicht Unrecht, wenn sie anmahnen, dass auch die Regierung ihren Beitrag zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht leisten sollte. Erhöhte Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung würden Kapital ins Inland ziehen. Importe würden gesteigert, wenn Barrieren abgebaut würden: Eine stärkere Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes würde es ausländischen Anbietern erleichtern, in den deutschen Markt einzutreten. Wie die Schüler schon lernen – es sind vier Ziele im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, die das magische Viereck ausmachen.
Dieser Beitrag ist zuerst am 23. März 2017 im „Handelsblatt“ erschienen.