„Next Generation EU muss ein Erfolg werden, damit die Eurozone der nächsten Schuldenkrise entgehen kann“
ZEW-SeminarIn allen europäischen Ländern mussten Corona-bedingt in großem Stil neue Schulden aufgenommen werden, um die gesundheitlichen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie abzumildern und die Erholung von der tiefen Rezession zu unterstützen. Da etliche Staaten bereits zuvor hoch verschuldet waren, war ihr Spielraum zur eigenständigen Finanzierung der hohen Corona-Schulden begrenzt. Europa hat darauf mit umfassenden Hilfsmaßnahmen reagiert. Ende 2020 beschloss die EU nicht nur den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen, sondern auch das mit 750 Milliarden Euro größte über den EU-Haushalt finanzierte Hilfsprogramm ihrer Geschichte ab: Next Generation EU. Eine zentrale Frage aber bleibt: Wie soll nach Ende der Corona-Pandemie mit der hohen Staatsverschuldung in der Eurozone umgegangen werden? Welche Lösungsansätze gibt es und welche Chance auf Realisierung haben sie?
Am 28. April 2021 diskutierten darüber im Rahmen einer digitalen Podiumsdiskussion Dr. Cinzia Alcidi, Director of Research, Head of the Economic Policy Unit am Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel; Prof. Dr. Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied der Wirtschafsweisen; sowie Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Forschungsbereichsleiter und Experte für Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW, im Research Seminar von EconPol und ZEW in Zusammenarbeit mit der Brigitte Strube Stiftung
In kurzen Impulsreferaten zu Beginn der Podiumsdiskussion stellten deren Teilnehmer/innen ihre Sicht der Dinge dar. Friedrich Heinemann machte den Auftakt und referierte über die Wirksamkeit von Ankündigungen der EU und ihrer wesentlichen Akteure auf die Zinsspreads der Mitglieder der Eurozone. Untersuchungen des ZEW zum Nutzen des Wertpapierkaufprogramms „Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigen, so Heinemann: „PEPP war der Game Changer, während etwa die EU-Corona-Finanzpakete keinen spürbaren Beitrag zur Verringerung der Zinsabstände geleistet haben. Die bisherige Stabilität der Euro-Staatsanleihemärkte in der Pandemie ist daher vor allem dem PEPP-Wertpapierkaufprogramm der EZB zu verdanken“.
In seinem Vortrag reflektierte der ZEW-Experte sechs Lösungsszenarien für die Staatsverschuldung nach der Pandemie: Eine Möglichkeit sei, dass es gar kein Problem gebe, weil die Zinssätze eben einfach so niedrig seien oder weil die EZB auf Dauer dafür sorgen werde, dass die Zinsspreads in einem auch für hoch verschuldete Länder tragbaren Rahmen blieben. Eine andere Möglichkeit wären weitere schuldenfinanzierte EU-Transfers wie Next Generation EU. Viertens könnte das Hilfsprogramm überfällige Reformen auslösen, die zu Wirtschaftswachstum führen und dadurch die Verschuldung verringern könnten. Denkbar wäre aber auch eine effektive Konsolidierung der Staatshaushalte insbesondere durch Einsparungen beim Staatsverbrauch. Schließlich wäre auch eine Umstrukturierung der Schulden möglich, wie sie etwa im Falle der griechischen Staatsverschuldung stattgefunden habe. „Riskant wird die Lage für EU-Länder, bei denen schon länger hohe Schuldenstände mit einem anhaltenden Reformstau einhergehen. Der Corona-Wiederaufbauplan Next Generation EU muss ein Erfolg werden und Länder wie Italien endlich auf einen Wachstumspfad führen. Nur dann kann die Eurozone der nächsten Schuldenkrise entgehen“, machte Heinemann deutlich.
Wirtschaftswachstum für verschuldete Staaten von größter Bedeutung
In einem weiteren Impulsvortrag ging Cinzia Alcidi der Frage nach, inwieweit die Analyse der Schuldentragfähigkeit eines Landes für den richtigen Umgang mit einer hohen Staatsverschuldung hilfreich sein kann. Alcidi stellte zunächst verschiedene Methoden zur Messung der Schuldentragfähigkeit vor. Danach beschrieb sie die starke Zunahme der Staatsverschuldung seit 2009/10, die erheblich über dem ansonsten üblichen Niveau bei einer Rezession liegt und blickte auf die voraussichtliche weitere Entwicklung der Defizitsituation in den Euro-Staaten, die sie auch 2022 in der Eurozone bei im Durchschnitt über drei Prozent erwartet. Derzeit, so ihre Feststellung, seien die Märkte mit dieser Entwicklung zufrieden. Allerdings gebe es Grenzen. Für manche Länder könne sich die Lage auch sehr schnell ändern, denn der derzeit historisch niedrige Zinssatz sei nicht in Stein gemeißelt. Es stehe eher die Frage im Raum, wie lange er so tief bleibe. Nach Ansicht Alcidis ist daher die Rückkehr zu einem deutlichen Wirtschaftswachstum für hoch verschuldete Staaten von größter Bedeutung, um die Schuldenlast zu mindern.
In der Schuldentragfähigkeitsanalyse sieht sie in der momentanen Situation eher eine Kunst als eine Wissenschaft. „Dennoch ist sie als Frühwarnsystem von großer Bedeutung, sowohl für einzelne, besonders hoch verschuldete Länder, als auch für die Eurozone, um letztlich entscheiden zu können, wann substanzieller finanzieller Beistand für in Not geratene Länder erforderlich ist. Allerdings bleibt dies letztlich eine Entscheidung, die von der Politik getroffen werden muss“, sagte Alcidi.
Corona-Pandemie als Brandbeschleuniger für die Staatsverschuldung
Der Wirtschaftsweise Volker Wieland sieht in der Corona-Pandemie einen Brandbeschleuniger für die Staatsverschuldung im Euroraum. In Italien, Spanien und Frankreich sei die Staatsverschuldung durch sie um zehn bis 20 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gestiegen. Gleichzeitig ist das Zinsniveau gesunken, das heißt weitere Schulden aufzunehmen, ist für die Staaten deutlich billiger geworden. Wieland warnt allerdings vor Risiken und verweist auf die Projektion des Congressional Budget Office der Vereinigten Staaten. Dieses rechnet in Bezug auf die Verschuldung der USA ab etwa 2026/27 mit einem spürbaren Anstieg der Ausgaben für Zinszahlungen. Die Projektion zeigt, dass niedrige Zinsen auch in Europa mitnichten ein Dauerzustand sind. Was aber können die Euro-Staaten gegen die wachsende Verschuldung tun? Denkbar ist für Wieland eine ausgabenbasierte Konsolidierungsstrategie mit dem Ziel aus der Verschuldung herauszuwachsen, indem man dafür sorgt, dass die Staatsausgaben langsamer zunehmen als die Wirtschaftstätigkeit. „Vermieden werden sollte zudem eine Erhöhung der Steuern auf Arbeits- und Kapitaleinkommen“, sagte der Wirtschaftsweise und warnte: „Die EZB kann nicht dauerhaft als Krisenhelfer agieren, sonst verschwimmen die Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik immer weiter.“ Sobald sich die Wirtschaft erholt und die Inflation steigt, muss die EZB laut Wieland eine Strategie für den Ausstieg aus den negativen Zinsen fahren. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten dann ihre fiskalischen Regeln reaktivieren und eine Konsolidierung zusammen mit Strukturreformen zur Verbesserung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit anstreben.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierte das Podium, welche Spielräume es trotz hoher Verschuldung für die Staaten der Eurozone gibt. Dabei wurde klar, dass die EZB nicht auf Dauer für niedrige Zinsen sorgen kann und dass für die wirtschaftliche Erholung von entscheidender Bedeutung ist, den privaten Sektor zu aktivieren. Die richtigen Anreize, wie etwa die staatliche Förderung von Zukunftsprojekten beispielsweise für die Digitalisierung und den Klimaschutz, könnten dazu beitragen.