Was hat Europa von einer transatlantischen Freihandelszone? - "TTIP kann einen Beitrag zur Stabilisierung der Eurozone leisten"
NachgefragtNoch ist in Sachen Freihandel zwischen der EU und Nordamerika nichts in Stein gemeißelt – doch wird hierzulande schon heftig über eine sogenannte "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) gestritten. Die Furcht vor unsauberen Produkten und Geschäftspraktiken ist dabei ebenso groß wie der Glaube an Wohlfahrtsgewinne. Können Deutschland und Europa davon profitieren, wenn mit den USA und Kanada ein freier Warenaustausch möglich ist? ZEW-Finanzökonom Friedrich Heinemann sieht in TTIP eine Chance, die Eurozone zu stabilisieren.
Europa und die USA gelten bereits als enge Handelspartner. Zwischen Deutschland und den USA bestehen zudem eine Reihe bilateraler Vereinbarungen – etwa im wissenschaftlich-technologischen Bereich –, die durchaus volkswirtschaftliche Erträge bringen. Wieso verhandeln wir über TTIP?
Es gibt mehrere nachvollziehbare Gründe für ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Erstens benötigt die globale Handelspolitik neue Impulse. Eigentlich sollte Handelsliberalisierung besser global als regional erfolgen. Die Welthandelsorganisation ist jedoch durch ihre schiere Größe von 160 Mitgliedern und vielfältige Interessengegensätze gelähmt. Regionale Abkommen könnten eine neue Dynamik erzeugen und damit Verhandlungen über weltweite Liberalisierung beflügeln. Zweitens benötigt Europa dringend Wachstumsimpulse. Die Stabilisierung der Staatsfinanzen in der Eurozone wird nur gelingen, wenn eine breit angelegte Reformpolitik das Wachstumspotenzial der Eurostaaten und ihre Exportfähigkeit erhöht. TTIP kann hier einen Teilbeitrag leisten. Und drittens sind bestimmte gängige Merkmale von Investitionsschutzabkommen dringend reformbedürftig. TTIP würde die Reform der Spielregeln vorantreiben.
Der sogenannte Investorenschutz ist ein rotes Tuch in der Debatte. US-Unternehmen, die in der EU investieren und ihre vitalen Interessen gefährdet sehen, könnten im Zweifelsfall unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Schiedsgerichten klagen. Wird damit der Rechtsstaat ausgehöhlt?
Deutschland hat mit seinem ersten Investitionsschutzabkommen mit Pakistan den Investorenschutz vor über fünfzig Jahren erfunden und seitdem in 130 Abkommen festgeschrieben. Investorenschutz ist besonders wichtig im Verhältnis zu Entwicklungs- und Schwellenländern, wo rechtsstaatliche Prinzipien und eine effektive Gerichtsbarkeit nicht immer ausreichend entwickelt sind. Gleichwohl werfen die heutigen Schiedsgerichtsverfahren tatsächlich kritische Fragen in Sachen Transparenz, Unabhängigkeit oder auch mit Blick auf legitime staatliche Interessen bei der Fortentwicklung von Standards auf. TTIP ist auf lange Zeit das wichtigste regionale Abkommen und seine Inhalte werden künftig als Blaupause für neue Abkommen weltweit gelten. Die Verhandlungen bieten daher jetzt die Chance, den außergerichtlichen Investorenschutz zu modernisieren. Man sollte die Kritik an den Streitschlichtungsverfahren also sehr ernst nehmen, diese Kritik aber bei der Konzeption eines überzeugend definierten TTIP-Verfahrens aufgreifen.
Das wesentliche Argument für ein europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen ist Wachstum. Langfristig soll sich so das reale Pro-Kopf-Einkommen erhöhen.
Es ist völlig unmöglich, die Wachstums- und Beschäftigungsfolgen eines regionalen Freihandelsabkommens vorher auch nur halbwegs exakt zu quantifizieren. Dazu sind zu viele Unbekannte im Spiel: In welchem Ausmaß gelingt eine Beseitigung von Handelshemmnissen? Wie erfolgreich passen sich Staaten und Unternehmen an die neue Wettbewerbssituation an? Und wie werden andere Weltregionen auf TTIP reagieren? Gleichwohl sind sich alle seriösen Quantifizierungs-Studien immerhin im prognostizierten Vorzeichen einig: Eine transatlantische Freihandelszone würde Wachstum und Beschäftigung in der EU erhöhen und alle EU-Staaten würden profitieren, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Angesichts der akuten Wachstumsschwäche in Europa sollten wir uns genau überlegen, ob wir eine solche nennenswerte Chance zur Erhöhung des Potenzialwachstums vorschnell aufgeben sollten.
Verbraucher- und Umweltschützer wiederum argwöhnen, dass TTIP das Absenken europäischer Standards nach sich zieht, warnen vor Chlorhühnchen und Hormonrindern.
Hier herrscht erhebliche Desinformation. TTIP setzt zwar auf Kooperation in der Standard-Setzung zwischen EU und den USA. Dabei steht die Anpassung industrieller Normen im Vordergrund. Es geht also eher um den Stecker für das Elektroauto als das Chlorhühnchen. Das Abkommen würde auch nichts am Rechtssetzungs-Prozess in der EU verändern. Das bedeutet, dass EU-Standards in einer "TTIP-Welt" nur dann verändert werden können, wenn diese Änderungen die notwendigen Mehrheiten im Rat und Europäischen Parlament finden. Warum aber sollte TTIP plötzlich im Europäischen Parlament zu einer Chlorhühnchen- oder Gentechnik-Mehrheit führen, die es vorher nicht gab? Außerdem schwingt hier das Vorurteil mit, dass die USA sich nicht um Verbraucherschutz kümmern würden, was angesichts drastischer Haftungsrisiken von US-Produzenten bei Konsumentenschäden eine verzerrte Wahrnehmung ist. Im Übrigen fände ich persönlich es durchaus reizvoll, einmal unvoreingenommen die Frage zu überprüfen, ob das europäische Antibiotika-Hühnchen wirklich dem US-amerikanischen Chlorhühnchen gesundheitlich überlegen ist.
Speziell in Deutschland sind die Vorbehalten gegen eine Ausweitung der transatlantischen Handelsbeziehungen enorm. Woher rührt dieser Widerstand?
Dass ausgerechnet in Deutschland die TTIP-Kritik so weitgehend und unversöhnlich erscheint, ist nicht leicht zu erklären. Deutschland hat als Exportnation ein ganz besonderes Interesse an offenen Märkten und an effektivem Schutz seines im Ausland investierten Vermögens. Der Widerstand dürfte am ehesten mit der in Deutschland besonders ausgeprägten Enttäuschung über US-Verhaltensweisen in der NSA-Abhöraffäre oder beim „Krieg gegen den Terror“ zu erklären sein. Hier wurde viel Vertrauen zerstört, was sich nun in einem breiten Misstrauen gegenüber den wirklichen Motiven der USA in den TTIP-Verhandlungen niederschlägt. Dennoch: Deutschland würde in erster Linie sich selber schaden, wenn es als TTIP-Bremser agieren würde.