Wie entwickelt sich die chinesische Volkswirtschaft? China hat weiterhin viel ökonomisches Potenzial

Nachgefragt

China spielt eine immer größere Rolle für die Weltwirtschaft. Im Reich der Mitte zeigen sich jedoch auch ernsthafte wirtschaftliche Probleme. Im Interview erläutert Dr. Gunnar Lang, Leiter der neuen Konjunkturumfrage zu China, die das ZEW gemeinsam mit der Fudan Universität ins Leben gerufen hat, Chinas ökonomische Situation.

Dr. Gunnar Lang ist stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" am ZEW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Finanzmarktregulierung, Unternehmensfinanzierung sowie Immobilienmärkte. Dazu arbeitet er an Drittmittelprojekten, beispielsweise für die Europäische Kommission, Bundesministerien und Unternehmen. Er ist verantwortlich für den ZEW-Finanzmarkttest China, das "China Economic Panel" (CEP), sowie das ZEW PwC Wirtschaftsbarometer China.

Gemeinsam mit der Fudan Universität hat das ZEW das "China Economic Panel" (CEP) gestartet, um monatlich Konjunktur- und Wirtschaftsdaten des Landes zu erheben. Warum nimmt das ZEW die chinesische Volkswirtschaft in den Blick?

China ist mittlerweile neben den Vereinigten Staaten zur globalen Konjunkturlokomotive aufgestiegen. Gleichzeitig kämpft das Land jedoch mit rückläufigen beziehungsweise schwankenden Wachstumsraten und die chinesische Wirtschaft ist insgesamt viel volatiler geworden. Deshalb ist es unser Ziel, mit dem China Economic Panel einen Frühindikator für Chinas gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu etablieren, der wichtige Trendänderungen frühzeitig erkennen lässt. Durch die Zusammenarbeit mit unseren Partnern von der Fudan Universität stellen wir sicher, dass wir auch Experteneinschätzungen aus China selbst in die Befragung einbeziehen und so eine fundierte Innenansicht zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes erhalten.

Um die sinkenden Wachstumsraten aufzuhalten versucht die chinesische Regierung die Wirtschaftsstruktur umzukrempeln. Langfristig soll unter anderem weniger auf Export gesetzt, dafür aber der Binnenkonsum stimuliert werden. Wie kann die Strategie aufgehen?

Langfristig hat China durch den großen Binnenmarkt ein enormes Nachfragepotenzial. Die Löhne und folglich auch die individuellen Vermögen sind in den letzten Jahren zwar stark angestiegen, jedoch ist der Haushaltskonsum geringer, im Vergleich mit anderen Ländern auf ähnlichem Entwicklungsstand. Das Konsumverhalten wird sich aber anpassen. Aktuell zielen einzelne Reformmaßnahmen der Regierung auch auf eine Verbesserung der Qualität von Produkten einheimischer Unternehmen.

In Chinas Industriezentren steigen die Löhne. Einige Branchen, etwa die Textil- und Schuhindustrie, wandern deshalb bereits in Regionen und teilweise auch in andere Länder ab, wo die Löhne niedriger sind. Was bedeutet das für die chinesische Wirtschaft insgesamt?

Durch die steigenden Lohnstückkosten in der Küstenregion werden sich Unternehmen weiter in das Landesinnere verlagern und dort Arbeitsplätze schaffen. Diese Tendenz ist jedoch vor dem Hintergrund der angestrebten Ziele Chinas nachvollziehbar. Im aktuellen Fünf-Jahresplan der Regierung wird ein Anstieg der Fertigungstiefe in der Wertschöpfungskette und die Entwicklung der westlichen Regionen Chinas gefordert. Gleichzeitig werden in China Industriezonen errichtet, um Spezialisten und zukunftsträchtige Dienstleistungsunternehmen anzuziehen. Das Entwicklungsgebiet Liangjiang ist hierfür ein Beispiel. Diese Industriezone hat die Größe von Berlin und München zusammen und es gibt dort bereits eines der größten Cloud-Computing-Zentren der Welt.

Bei der Finanzierung der Staatsunternehmen haben sich die chinesischen Banken offenbar übernommen. Sie drohen unter ihrem Schuldenstand zusammenzubrechen. Ist davon auszugehen, dass es in China zu einer Finanzkrise mit internationalen Auswirkungen kommt?

Ein Zusammenbruch des Finanzsystems in China ist sehr unwahrscheinlich. Es stimmt aber, wir beobachten in China sehr hohe Kreditwachstumsraten. Dies ist grundsätzlich deshalb problematisch, weil zu rasantes Kreditwachstum als Indikator für Krisenzeiten gilt. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten ist die Menge an Krediten um 40 Prozent in den sechs Jahren vor der Krise angewachsen, in China in den letzten sechs Jahren um 70 Prozent. Jedoch ist China in zweierlei Hinsicht anders: Die Sparquote liegt bei etwa 50 Prozent des BIPs und die Zentralregierung hatte im Jahr 2012 nur einen Schuldenstand von 26 Prozent, wobei man zusammen mit den Schulden der Lokalregierung auf eine Schuldenquote von 45 Prozent kommt, was China aber immer noch Flexibilität einräumt. Die Zentralregierung ergreift darüber hinaus bereits Maßnahmen, um das Kreditwachstum zu hemmen, die Innovationskraft der inländischen Unternehmen zu stärken und die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen durch zusätzliches Kapital von neuen Investoren zu verbessern.


Über das "China Economic Panel" (CEP)

Das "China Economic Panel" (CEP) ist ein Gemeinschaftsprojekt des ZEW und der Fudan Universität in Shanghai. Es befragt ab Oktober 2013 monatlich China-Experten aus Finanz-, Research- und volkswirtschaftlichen Abteilungen von Banken, Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften und Industrieunternehmen in China, Deutschland und weltweit zu verschiedenen Konjunktur- und Wirtschaftsdaten. Die Experten werden etwa um ihre Einschätzung zur aktuellen wirtschaftlichen Lage des Landes sowie zur erwarteten konjunkturellen Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten gebeten. Darüber hinaus werden die Experten zu ausgewählten Finanzund Fundamentaldaten der Volksrepublik befragt, beispielsweise zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, zur Entwicklung von Inflation, Zinssätzen, verschiedenen Börsenindizes, Wechselkursen oder Immobilienpreisen. Von den Teilnehmern des CEP werden zum Teil Punkt- zum Teil Richtungsprognosen abgegeben.