Wie lässt sich die Nord-Süd-Stromtrasse wirtschaftlich umsetzen?

Nachgefragt

Um die Energiewende in Deutschland zu verwirklichen, ist ein weiteres Mammutprojekt geplant: Der Bau des sogenannten "Südlink", einer rund 800 Kilometer langen Stromtrasse, die den windreichen Norden der Bundesrepublik mit den Verbrauchern/-innen im Süden verbinden soll. Nur: Den Strom will jeder, niemand jedoch Höchstspannungsleitungen im Hinterhof. ZEW-Ökonom Vitali Gretschko erklärt, wie der Bau der Nord-Süd-Stromtrasse mit Methoden des Marktdesigns gelöst werden könnte, ohne Milliardenbeträge in den Bau unterirdischer Leitungen zu investieren.

Der Südlink soll von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen nach Bayern führen, ein gigantisches Bauprojekt. Was hat das mit Marktdesign als ökonomischer Disziplin zu tun?

Marktdesign beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie man auf einem existierenden oder neu zu schaffenden Markt die Spielregeln setzen sollte, so dass am Ende eine gesellschaftlich optimale Lösung durch den Markt erreicht wird. Ein Schwerpunkt unserer Forschung ist die Gestaltung optimaler öffentlicher Beschaffungsprozesse, bei denen Anbieter private Informationen über ihre Kosten haben. Betrachten wir also die Verlegung des Südlink als einen Beschaffungsprozess, bei dem die öffentliche Hand von den Einwohnern das Recht einkauft, die Leitungen durch ihren Hinterhof zu verlegen. Ein klassisches Marktdesign-Problem ist nun, Regeln für den Beschaffungsprozess zu finden, die zu einem möglichst kosteneffizienten Bau der Trasse führen, dabei die sozialen Kosten der Anwohner berücksichtigen, und diese entsprechend auch entschädigen. Dabei können die Regeln so gesetzt werden, dass der Staat nicht die sozialen Kosten kennen muss, sondern es für die Anwohner optimal ist, ihre Kosten während des Prozesses wahrheitsgemäß zu berichten.

Wie sehen denn die aktuellen Baupläne für die Trasse aus?

Nach einem jahrelangen Streit zwischen Bundesregierung und lokalen Interessensgruppen kam Ende 2015 ein Kompromiss zustande: Die Trassen werden unterirdisch durch Erdkabel verlegt, was die Baukosten nach Schätzung der Regierung im Vergleich zu Freileitungen um drei bis acht Milliarden Euro erhöht. Laut einem aktuellen Bericht der Bundesnetzagentur ist zudem bislang noch keines dieser Projekte in Angriff genommen worden, was nun den gesamten Zeitplan der Energiewende gefährdet. Aus der Perspektive des Marktdesigns gesehen, wurde also eine sehr teure Option gezogen, ohne die sozialen Kosten einer überirdischen Trasse jemals abgefragt zu haben.

Wie könnte demnach ein Mechanismus aussehen, der die Höhe der sozialen Kosten berücksichtigt?

Natürlich gibt es mehrere mögliche Routen für eine solche Trasse. Ziel des Marktdesigners ist es nun, die sozial günstigste Route zu ermitteln. Dafür müsste man alle potenziell betroffenen Anwohner/innen in einer Auktion Gebote abgeben lassen, etwa auf kommunaler Ebene. Falls die Trasse durch eine bestimmte Gemeinde verlegt wird, würde die Gemeinde eine Entschädigung bekommen, die anhand der Gebote ermittelt wird. Die optimale Route der Trasse bestimmt sich dann aus der Lösung mit der geringsten Summe aus Baukosten und sozialen Kosten für Anwohner/innen. Die Kunst des Marktdesigners ist hierbei, die Regeln der Auktion so zu bestimmen, dass die Gebote der Anwohner ihre tatsächlichen Kosten reflektieren. Das stellt sicher, dass die Leitungen entlang der effizientesten Route verlaufen. Auf dieser Basis kann man dann vergleichen: Ist obige Lösung insgesamt besser als die teure Erdkabel-Variante? Falls die Antwort "Nein" lautet, kann man die Trasse immer noch unterirdisch bauen.

Wer sind die potenziellen Verlierer einer solchen Lösung?

Zumindest auf kommunaler Ebene kann es keine Verlierer geben. Die Teilnahme an dem Mechanismus ist freiwillig, man wird auf Basis seines Gebotes entschädigt. Dementsprechend wird einerseits jeder Bieter nicht unterhalb seiner wahren Kosten bieten, und so kann man durch Auktion nicht schlechter als in der unterirdischen Lösung gestellt werden. Anderseits können die Regeln so gesetzt werden, dass ein Bieter, der oberhalb seiner Kosten bietet, um einen potenziellen Gewinn zu erzielen, seine Wahrscheinlichkeit ausgewählt zu werden so weit senkt, dass ein solches Überbieten für ihn nicht optimal ist. Für den Staat ergibt sich dadurch die Möglichkeit erheblicher Kosteneinsparungen, wovon wiederum die Allgemeinheit profitiert. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass alle Marktteilnehmer die Konsequenzen, die sich aus ihren Geboten ergeben, verstanden haben. Ein wichtiges praktisches Anliegen eines Marktdesigners ist es deshalb, möglichst einfache Regeln zu setzen und über mögliche Konsequenzen aufzuklären.

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Prof. Dr. Vitali Gretschko
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