EU-Kohäsionspolitik muss überdacht werden

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ZEW-Studie zur Kohäsionspolitik: Mehr Effizienz durch Konzentration auf schwächste Regionen

Die EU-Kohäsionspolitik zielt darauf ab, wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu verringern und die Entwicklung der strukturschwächsten Regionen zu fördern. Angesichts neuer großer Anforderungen an den EU-Haushalt, etwa in Hinblick auf Verteidigung und Klimaschutz, stellt sich die Frage, ob dieses Konvergenzziel für die EU weiterhin oberste Priorität haben sollte. Ein möglicher Reformansatz wäre, die Ausgaben stärker auf die ärmsten Regionen der EU zu konzentrieren und so Mittel für andere wichtige Bereiche freizusetzen.

Unter anderem zu dieser Empfehlung kommen Forschende des ZEW Mannheim im Rahmen eines vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) geförderten Projekts gemeinsam mit einem Team von EU-Politikexperten/-innen. Das Projekt endet am 15. Juli 2024 mit einer hochrangigen Konferenz in Brüssel und der Übergabe des Abschlussberichts an EU-Kommissarin Ferreira. An der Veranstaltung nehmen neben Bundesminister Lindner weitere Finanzminister/innen der EU-Mitgliedstaaten teil. Der vollständige Bericht findet sich hier, eine Zusammenfassung hier.

Erfolg der Kohäsionspolitik hängt von lokalen Faktoren ab

Die Analyse bestätigt die Einsicht, dass die Kohäsionspolitik positive Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung hat, auch wenn diese oft kurzlebig sind und mit zunehmender Höhe der Fördermittel abnehmen. „Tatsächlich haben die regionalen Unterschiede in Südeuropa trotz 30 Jahren Kohäsionspolitik kaum abgenommen. Ohne die Kohäsionspolitik wären die Disparitäten vermutlich noch größer, aber das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen bleibt ernüchternd“, erklärt Zareh Asatryan, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“.

„Angesichts dieser wenig überzeugenden Ergebnisse und der umfangreichen Belege für die bedingte Wirksamkeit der Kohäsionspolitik wäre es sinnvoll, die Mittel auf bedürftige Regionen umzulenken, in denen eine signifikante Wirkung zu erwarten ist. Das sind insbesondere jene Regionen in weniger entwickelten EU-Mitgliedstaaten, deren Verwaltungsbehörden effizient und korruptionsfrei arbeiten“, erklärt Friedrich Heinemann, Leiter desselben Forschungsbereichs am ZEW.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Berichts ist, dass die Kohäsionspolitik, die in erster Linie Investitionen in den öffentlichen Kapitalstock fördern soll, das Potenzial hat, private Investitionen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Die Mittel sollten daher weiterhin für Projekte aufgewendet werden, die private Investitionen ergänzen und diese nicht ersetzen.

Kohäsionspolitik soll effektiver, gezielter und transparenter werden

Die Umverteilung von Ressourcen basierend auf lokalen Faktoren ist leichter gesagt als getan. Neben der politischen Umsetzbarkeit gibt es noch eine weitere Schwierigkeit: Die strukturschwächsten Regionen, die die meisten EU-Transfers erhalten, kranken häufig an schwachen Institutionen. Dadurch können finanzielle Ressourcen nicht optimal eingesetzt werden. Dieses Problem sollte durch umfassende Verwaltungsreformen angegangen werden, die lokale Engpässe beseitigen und gleichzeitig das Humankapital der Verwaltungen vor Ort stärken.

„Zusätzlich zu diesen Reformen sollte das Evaluierungssystem der Kohäsionspolitik verbessert werden, damit Finanzierungsentscheidungen stärker evidenzbasiert sind“, ergänzt Carlo Moana Birkholz, ZEW-Forscher und Koautor einer innovativen Studie zum Evaluierungssystem der Kohäsionspolitik, in der Large Language Models zur Analyse eingesetzt wurden.

Zwei weitere Schwächen der Kohäsionspolitik sind ihre zu vielen Ziele und Parallelstrukturen. Diese verwischen die Zuständigkeiten und Kompetenzen in der Politik und führen zu Koordinationsproblemen. Das Nebeneinander des EU-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ und den Kohäsionsmitteln des Kernhaushalts verschärft diese administrativen Probleme zusätzlich.

Evidenzbasierte Reform der Kohäsionspolitik für die Zukunft

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kohäsionspolitik sind oft nuancierter als die optimistischen Darstellungen der Politik. Um zukünftig evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, bedarf es einer unvoreingenommenen und transparenten Diskussion auf europäischer Ebene darüber, was funktioniert und wo die Grenzen unseres Wissens über die Folgen der Kohäsionspolitik liegen.

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