Insbesondere auf dem internationalen Parkett wird Deutschland einer angeblichen Europamüdigkeit geziehen. Mitunter lässt sich nur schwer der Eindruck vermeiden, der Europaenthusiasmus der Deutschen werde im europäischen Ausland daran gemessen, inwieweit die Bundesregierung ohne Umschweife Zahlungsverpflichtungen im Rahmen diverser Rettungsschirme übernimmt. Untermauert werden einschlägige Begehrlichkeiten an Deutschland zum einen mit dem Vorwurf einer unsolidarischen Entwicklung der hiesigen Lohnstückkosten und zum anderen mit einem Verweis auf unsere hohen Leistungsbilanzüberschüsse als Beleg dafür, wie sehr der Euro Deutschland zum Nutzen gereicht habe, sodass es sich nun einmal, bitteschön, erkenntlich zeigen sollte. Beide Argumente sind unzutreffend.

Die Lohnstückkosten-These fällt unter die Rubrik "Wie lügt man mit Statistik". Die Befürworter dieses Arguments wählen ungefähr das Jahr 2005 als Ausgangspunkt und zeigen, dass sich die Lohnstückkosten, also das Verhältnis Nominallohn je Arbeitnehmer zur Arbeitsproduktivität, in Deutschland im Vergleich zum Euro-Raum in der Tat unterdurchschnittlich entwickelt haben, jeweils für das Verarbeitende Gewerbe. Auf den ersten Blick scheint dies den erwähnten Vorwurf an die Adresse Deutschlands zu rechtfertigen, auf den zweiten indessen nicht. Denn in einer längerfristigen Betrachtung erweist sich, dass Deutschland damit lediglich seine lohnpolitischen Sünden in den neunziger Jahren und anfangs der vergangenen Dekade korrigiert hat, Zeiten mithin, in denen die Lohnstückkosten hierzulande beträchtlich über denen des Euro-Raums lagen. Im Jahr 2005 hatten wir in etwa das Niveau der Lohnstückkosten des Jahres 1990 erreicht, wohlgemerkt: der Lohnstückkosten, also unter Berücksichtigung der Arbeitsproduktivität.

 

Die Kritik der Anhänger der Lohnstückkosten-These, das alles bezöge sich nur auf das Verarbeitende Gewerbe und für die Gesamtwirtschaft sähe die Sache anders aus, stellt ein untaugliches Rückzugsgefecht dar. Die hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schlägt sich in unseren Exporten nieder und daran ist hauptsächlich das Verarbeitende Gewerbe beteiligt. Also sollte sich der Lohnstückkosten-Vergleich auf diesen Sektor beziehen.

Von einer ähnlichen Handelsklasse ist das Argument der hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands, die solidarische Zahlungen Deutschlands als Gegenleistung rechtfertigten. An diesem Trugschluss sind wir hierzulande nicht ganz unschuldig. Wie oft proklamieren die Medien den Titel eines Exportweltmeisters, so als ob es sich beim Außenhandel um die Fußballweltmeisterschaft handele. Klar, ein Exportüberschuss heißt, dass wir mehr Güter exportieren als importieren. Die andere Seite der Medaille ist jedoch die Kapitalverkehrsbilanz mit dem Ausland. Wenn wir mehr exportieren als importieren bedeutet dies nichts anderes als eine Kreditvergabe ans Ausland. Dafür mag ein Land zuweilen gute Gründe haben, beispielsweise im Hinblick auf die demographische Entwicklung, falls eine Altersvorsorge in Form von Kapitalanlagen auch im Ausland erfolgt, die dann später zurückgeführt werden. Aber in den vergangenen Jahren lief der Kapitalexport mitunter schief. Wir lieferten hochwertige Produkte etwa des Maschinenbaus in die Vereinigten Staaten und erhielten dafür Schrottpapiere von Lehman Brothers. Besser wäre es gewesen, wenn statt eines Kapitalexports die hiesige Ersparnis mehr für Investitionen in Deutschland verwendet worden wäre.

Damit taucht ein wichtiger Zusammenhang auf. Aus der Saldenmechanik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergibt sich nämlich, dass ein Leistungsbilanzsaldo definitorisch (nicht kausal) der Differenz zwischen Ersparnis und Investitionen entspricht. Würden die inländischen Ersparnisse vollständig in heimische Investitionen transformiert, wäre die Leistungsbilanz ausgeglichen. Diese Erkenntnis beleuchtet eine Kehrseite des hiesigen Leistungsbilanzüberschusses, nämlich eine zu geringe Investitionstätigkeit im Inland. In der Tat: Mit seiner Investitionsquote und folglich mit seinem Wachstumspfad liegt Deutschland im europäischen Vergleich seit geraumer Zeit am unteren Ende der Rangskala. So gesehen schaden wir uns mit Leistungsbilanzüberschüssen selbst. Eine Begründung für eine Zahlungsaufforderung liefern sie somit nicht.

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Wolfgang Franz
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz
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