Die Zunft der Ökonomen steht angesichts unzutreffender Vorhersagen der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung am Pranger. Nicht zuletzt von Seiten der Naturwissenschaften stammen spöttische und bisweilen maliziöse Kommentare, etwa wenn es um die Beurteilung von Forschungsaktivitäten aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften geht. Da liegt es nahe, den Spieß einmal umzudrehen, denn Fehlprognosen im Bereich der Naturwissenschaften sind Legion und in ihren Folgen vermutlich wesentlich teurer als die der Ökonomen.

Die Kritik entzündet sich mitunter daran, dass sich eine Reihe von Ökonomen in Wissenschaft und Praxis bei der Überwindung der tiefen Rezession des Jahres 2009 eines – im Nachhinein ungerechtfertigten – Pessimismus befleißigt hätten, etwa indem sie einen L-förmigen Verlauf aus der Krise in Aussicht stellten, wohingegen das V die Realität besser beschreibt. Wenn es aber um Schwarzmalerei geht, schlagen die Naturwissenschaften dieses Phänomen um Längen, wie es sich am Beispiel der Epidemiologen eindrucksvoll belegen lässt. Sie seien "zu einem Selbstbedienungsladen für Panikmacher verkommen" (Walter Krämer, Die Angst der Woche, München 2011).

Um potenziellen Missverständnissen von vorneherein einen Riegel vorzuschieben, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei den folgenden Beispielen Gott sei Dank um Fehleinschätzungen handelt, analog zu der vorher genannten falschen Konjunkturprognose. Es geht definitiv nicht darum, Prognoseirrtümer im Bereich der Naturwissenschaften als solche zu brandmarken, sondern darum, Naturwissenschaftler auf das Glashaus aufmerksam zu machen, in dem sie sitzen, wenn sie mit Steinen auf die Ökonomen werfen.

Sie erinnern sich? Vor wenigen Monaten warnte das angesehene wissenschaftliche Robert-Koch-Institut, Berlin angesichts der EHEC Infektionen vor Salatgurken, Tomaten und Blattsalat und das Institut für Hygiene und Umwelt, Hamburg, identifizierte nach Angaben der dortigen Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz Salatgurken aus Spanien als Träger von EHEC. Zwar erfolgte der Freispruch der Salatgurken wenige Tage später, die Schäden bei den Bauern allein in Deutschland gingen indes in hohe Millionen Euro Beträge.

Im Jahr 2000 erfasste der im Vereinigten Königreich festgestellte "Rinderwahn" (BSE) Deutschland und löste eine wahre Hysterie aus. Massenhaft wurden in beiden Ländern gesunde Tiere gekeult. Dafür und für die Durchführung von überflüssigen Tests und die Stabilisierung des Rindfleischmarkts gaben dem Vernehmen nach deutsche Behörden rund 1,5 Milliarden Euro aus. Die nachgewiesenen BSE-Fälle waren minimal, Todesfälle gab es hierzulande gottlob keine. Vielleicht hat die Hysterie um BSE, wofür in erster Linie die Medien, wohl aber ebenso einzelne Naturwissenschaftler verantwortlich sind, mehr Menschen umgebracht als der Erreger selbst, etwa in Form von Selbstmorden von Landwirten im Vereinigten Königreich, deren Existenz durch die BSE-Panik vernichtet wurde (Walter Krämer).

Das in Asien festgestellte Vogelgrippevirus H5N1 verursachte ebenfalls weltweite Panik. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief eine Pandemie aus und ein prominenter Gesundheitsexperte der WHO soll nach Presseberichten die Anzahl von fünf bis 150 Millionen Todesfälle weltweit in den Raum gestellt haben. Tatsächlich belief sich diese Anzahl weltweit auf 300, in Deutschland auf Null. Das Schweinegrippevirus H1N1 des Jahres 2009 verlief indessen nicht ganz so glimpflich, aber wesentlich weniger schrecklich als von offiziellen Stellen unter wissenschaftlichem Beistand befürchtet. In Deutschland waren rund 250 Todesfälle zu beklagen. Die Kosten der Vorsichtsmaßnahmen beliefen sich in Deutschland auf mehrere Hundert Millionen Euro. Bis zu 40 Millionen Dosen des Impfstoffs Pandemrix im Wert von etwa 250 Millionen Euro müssen vernichtet werden, weil von den eingelagerten Dosen nur ein Bruchteil abgerufen wurde. Das ist kein Vorwurf an die Politik. Denn hätte sie darauf verzichtet und es wäre so schlimm gekommen wie von den Epidemiologen befürchtet, wäre sie eines unverantwortlichen Nichtstuns geziehen worden.

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Wolfgang Franz
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz
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