Patentdickichte als Problem für die Volkswirtschaft? Patente sollten nur zugelassen werden, wenn sie technischen Fortschritt gewährleisten
NachgefragtDer Weg zu neuen Produkten führt in vielen Technologiebereichen durch ein "Dickicht" an Patenten. Dies behindert Innovationsprozesse. Den Grund dafür sieht eine neue ZEW-Studie in der Gefahr von Blockaden und der Verteilung von Patentrechten auf viele Unternehmen. Dr. Georg Licht erläutert, was diese Entwicklung langfristig bedeutet.
Die Anzahl an Patenten, die einzelne Produkte schützen, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Schätzungen gehen davon aus, dass beispielsweise Halbleiter oder Mobiltelefone durch hunderte oder tausende von Patenten geschützt sind. Woran liegt das?
Neue Produkte integrieren häufig sehr unterschiedliche Technologien und die Unternehmen verfügen oft nicht über alle für ein neues Produkt benötigten technologischen Fähigkeiten. Ein Rückgriff auf die Fertigkeiten und Kenntnisse anderer Unternehmen wird daher notwendig. Darüber hinaus bauen technologische Fortschritte heutzutage sehr viel stärker aufeinander auf als noch vor einigen Jahren und auch die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Produkte und Produktvariationen hat rasant zugenommen. Unternehmen haben daher begonnen, nicht nur den Verkauf neuer Produkte als Erlösquelle zu sehen, sondern auch die Lizenzierung ihrer patentierten Erfindungen an Konkurrenten und andere Unternehmen gewinnt zunehmend Relevanz.
Eine empirische Studie des ZEW zeigt, dass Unternehmen tendenziell weniger in Forschung und Entwicklung in einem Technologiefeld investieren, wenn dieses durch eine Vielzahl sich überlappender Patente gekennzeichnet ist. Was bedeutet das langfristig für die Innovationskraft einer Volkswirtschaft?
Die weitverbreitete Ansicht, wonach Patente als Anreiz für Unternehmen fungieren, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist nicht immer und überall richtig. Patente können unter Umständen eben auch dazu führen, dass das Innovationsrisiko für Unternehmen steigt und sie unter diesen Bedingungen weniger in Forschung und Entwicklung investieren. Inwieweit darunter auch die Innovationskraft einer Volkswirtschaft leidet, lässt sich auf der Basis allein dieser Beobachtung noch nicht sagen. Denn mehr Forschung bedeutet nicht automatisch einen höheren Wohlstand. Klar ist aber, dass die Patentdickichte enorme Transaktionskosten verursachen und diese Transaktionskosten belasten in jedem Fall die Innovationskraft.
Gibt es Möglichkeiten, die negativen Effekte von Patentdickichten zu neutralisieren – sei es durch marktkonforme Mittel oder durch Gesetzgebung?
Es muss zum einen strikt darauf geachtet werden, dass nur Patente gewährt werden, die tatsächlich einen signifikanten technischen Fortschritt bedeuten. Beispielsweise wird dem US-Patent- und Markenamt von verschiedener Seite vorgehalten, es nehme eine zu laxe Prüfung des Neuheitswerts vor. Dabei sind es gerade die marginalen Innovationen, die das Patentsystem auf lange Sicht pervertieren. Zum anderen sollte es leichter sein, in Lizenzierungsverträgen sogenannte FRAND Bedingungen durchzusetzten. FRAND steht für Fair, Reasonable And Non-Discriminatory. Natürlich ist es jedoch im Einzelfall schwer, genau zu definieren, was dies bedeutet.
In einer globalen Welt wird es immer schwieriger, Regelungen im Alleingang erfolgreich umzusetzen. Was tut beispielsweise die Europäische Union, um die Übersichtlichkeit von Patentverhältnissen zu verbessern?
Viel gewonnen wäre schon, wenn Patentrechte in Europa leichter gerichtlich anfechtbar wären. Hier hat die Europäische Kommission bereits verschiedene Vorschläge zur Etablierung einheitlicher rechtlicher Regelungen für die Verteidigung aber auch für den Angriff auf möglicherweise ungerechtfertigte Patentrechte gemacht. Denn gegenwärtig gilt für jedes Mitgliedsland der EU ein unterschiedliches Verfahrensrecht und ein beim Europäischen Patentamt angemeldetes Patent zerfällt nach seiner Gewährung in ein Bündel nationaler Patentrechte, deren Validität dann in jedem einzelnen Land angefochten werden muss. Im Juni dieses Jahres wurde vom Europäischen Rat erneut ein Vorschlag für ein einheitliches Patent- und Patentgerichtssystem vorgelegt. Offen ist aber nach wie vor, ob diesem Anlauf zur Harmonisierung der Patentgerichtsbarkeit in der EU letztendlich Erfolg beschieden ist oder ob sich nationale Egoismen durchsetzen werden.
Unternehmen, die über eine Vielzahl an Patenten in bestimmten Bereichen verfügen, stellen für andere Unternehmen ein begehrtes Übernahmeobjekt dar. Wie bewerten Sie es, wenn sich der Wert eines Unternehmens stärker anhand seiner geistigen Eigentumsrechte bemisst anstatt durch reale Produkte?
Wie bereits verschiedene Forschungsarbeiten des ZEW in der Vergangenheit gezeigt haben, machen potenziell blockierende Patente Unternehmen zu einem Übernahmekandidaten. Die Androhung einer Übernahme kann daher als Gegengewicht zu möglichen Blockierversuchen oder überhöhten Lizenzpreisen wirken. Darüber hinaus sind heutzutage in vielen Bereichen zunehmend Geschäftsmodelle zu finden, deren Ziel die Generierung von Innovationen und der Verkauf des Unternehmens oder seiner Rechte ist und nicht die Vermarktung eines neuen Produkts. Angesicht der zunehmenden Komplexität neuer Technologien kann ich daran allerdings nichts Verwerfliches finden. Dass es hierbei natürlich auch zu spekulativen Überhöhungen von Unternehmenswerten kommen kann, bringt ein arbeitsteiliger, marktwirtschaftlicher Prozess mit sich.
Dr. Georg Licht promovierte nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen und Heidelberg im Jahr 1990 an der Universität Augsburg. Seit 1992 leitet er den Forschungsbereich "Industrieökonomik und Internationale Unternehmensführung" am ZEW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Innovations- und Gründungsforschung. Licht ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Beratungsgremien, unter anderem der OECD, der Europäischen Kommission und des Statistischen Bundesamts.