Die Ergebnisse der Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2012 - Risiken für die deutsche Konjunktur

Nachgefragt

Die Eurokrise belastet die deutsche Konjunktur. Im Vergleich mit anderen Euroländern erweist sich die deutsche Wirtschaft jedoch als relativ stabil. Zu dieser Einschätzung kommt die aktuellen Gemeinschaftsdiagnose. Dr. Marcus Kappler, federführend für das ZEW in die Gemeinschaftsdiagnose eingebunden, erläutert die Ergebnisse des Gutachtens.

Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen, Maryland (USA) und Berlin promovierte Dr. Marcus Kappler im Jahr 2007 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit dem Jahr 2002 am ZEW beschäftigt, ist Kappler stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe "Wachstums- und Konjunkturanalysen". Er forscht insbesondere zur Genauigkeit von Konjunkturprognosen, der strukturellen Arbeitslosigkeit und den Einflussfaktoren des Produktionspotenzials.

Die Eurozone befindet sich in einer Rezession. Gleichwohl prognostizieren die Forschungsinstitute, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 0,8 und im nächsten Jahr um 1,0 Prozent wachsen wird. Was gibt Anlass zu diesem Optimismus?

Im Vergleich zum Frühjahr wurde die Wachstumsprognose für das nächste Jahr halbiert. Die Konjunkturaussichten für Deutschland haben sich innerhalb des letzten halben Jahres zunächst verschlechtert, da sich vor allem die Weltwirtschaft im Herbst in einer Schwächephase befindet. Dazu kommt die Verunsicherung bei Unternehmen und Haushalten wegen der immer noch schwelenden Schuldenkrise in der Eurozone. Wir gehen in der Gemeinschaftsdiagnose allerdings davon aus, dass sich die Lage in Europa allmählich entspannen und die Weltwirtschaft wieder Fahrt aufnehmen wird. In so einem verbesserten Umfeld dürfte die deutsche Wirtschaft von den sehr günstigen Finanzierungsbedingungen profitieren. Die Kreditzinsen und Anleiherenditen liegen auf historisch niedrigen Niveaus und sollten die Investitionen stimulieren, wenn sich Absatz- und Gewinnerwartungen der Unternehmen wieder erholen.

Die Schuldenkrise im Euroraum hat sich weiter zugespitzt und die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten schwächelt. Welche Gefahren sehen Sie darüber hinaus für die deutsche Wirtschaft?

Die Einschätzung zur Entwicklung der deutschen Konjunktur beruht auf der Annahme, dass sich die Situation in der Eurozone im Verlauf des Prognosezeitraums zunehmend stabilisiert und das Vertrauen der Investoren zurückkehrt. Allerding ist dies alles andere als gesichert. Sollte es anders kommen, das heisst sich die Lage vor allem in Europa weiter verschlechtern, würde Deutschland die Nachfrageschwäche der Handelspartner deutlich zu spüren bekommen. Unter solchen Bedingungen ist die Gefahr groß, dass Deutschland in eine Rezession gerät.

Als Reaktion auf die Schuldenkrise im Euroraum verfolgt die EZB eine Politik der geldpolitischen Lockerung, etwa durch ein bislang beispielloses Programm zum Ankauf von Staatsanleihen aus Krisenländern sowie einer Niedrigzinspolitik. Schlittert Deutschland in die Inflation?

Die Institute beurteilen das Programm der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen der Krisenländer in unbegrenzten Umfang kritisch. Mittelfristig könnte die Inflation steigen, wenn die EZB mit dem Programm monetäre Staatsfinanzierung betreibt. In der Folge könnten die Bürger und die Akteure an den Märkten das Vertrauen in die EZB verlieren, nachhaltig für Preisstabilität zu sorgen. Früher oder später würden sich dann die Inflationserwartungen aus ihrer Verankerung lösen. Ferner ist die Gefahr groß, dass die EZB bei Abweichungen von den Anpassungsprogrammen dennoch weiterhin Anleihen kauft und übermäßig geldpolitisch stimuliert. Das könnte dann preistreibend wirken und zu einem Anstieg der Inflationserwartungen führen. Da die Wiedergewinnung der geldpolitischen Reputation in einem solchen Fall langwierig sein kann und mit restriktiven Impulsen einhergeht, wäre mit hohen sozialen Kosten bei der Gewährleistung von Preisstabilität zu rechnen.