Die Erbschaftsteuer ist reformbedürftig
StandpunktDie Erbschaftsteuer in Deutschland bringt dem Staat pro Jahr rund 4,5 Milliarden Euro ein, also nicht sehr viel, das Tabaksteueraufkommen ist beispielsweise mehr als dreimal so hoch. Trotzdem oder gerade deshalb ist die Erbschaftsteuer besonders umstritten. Ihre Anhänger wollen sie erhöhen und betonen, die kräftige Besteuerung von Erbschaften sei ein Gebot der Gerechtigkeit, denn Erben würden teils große Vermögen in den Schoß fallen, ohne dass sie dafür etwas geleistet hätten. Kritiker wenden ein, die Erbschaftsteuer bedrohe Arbeitsplätze, wenn Unternehmen vererbt werden und die Erben nicht über genug liquides Vermögen verfügen, um die Steuer bezahlen zu können.
Die deutsche Steuerpolitik versucht, beide Positionen miteinander in Einklang zu bringen, indem Erbschaften und Schenkungen zwar grundsätzlich in Höhe von bis zu 50 Prozent besteuert werden, für Unternehmer aber Verschonungsregeln bestehen. Zum Beispiel kann Betriebsvermögen ganz steuerfrei übertragen werden, wenn der Empfänger das Unternehmen nicht verkauft und die jahresdurchschnittliche Lohnsumme sieben Jahre lang nicht niedriger wird als in den fünf Jahren vor der Übertragung. Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick vernünftig. Bei genauerem Hinsehen hat sie jedoch massive Schwächen.
Erstens eröffnen Verschonungsregeln erhebliche Spielräume für Steuervermeidung. Welches Vermögen für ein Unternehmen notwendig ist und welches nicht, lässt sich schwer abgrenzen. Unternehmer können viele Arten von Vermögen in die Unternehmenssphäre verlagern und so der Besteuerung weitgehend entziehen.
Zweitens hat die Verpflichtung, das Unternehmen weiterzuführen und die Lohnsumme nicht zu verändern, negative wirtschaftliche Folgen, weil dadurch Umstrukturierungen verhindert werden. Gerade nach dem Tod eines Unternehmers kommt es häufig vor, dass Umstrukturierungen oder sogar ein Verkauf des Unternehmens zum Erhalt der Arbeitsplätze notwendig wird. Die Auflagen für die steuerliche Verschonung bestrafen derartige Umstrukturierungen.
Drittens stellt sich die Frage, ob man noch von einer fairen Steuerlastverteilung sprechen kann, wenn teils extrem hohe Erbschaften und Schenkungen von Betriebsvermögen ganz von der Besteuerung befreit werden, während bei anderen Vermögensarten bis zu 50 Prozent an den Fiskus abzuführen sind.
Der Bundesfinanzhof ist der Meinung, dass die Erbschaftsteuer mit dem Gebot der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen unvereinbar ist. Er hat deshalb dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 die Frage vorgelegt, ob die deutsche Erbschaftsteuer mit ihren weit reichenden Verschonungsregeln gegen das Grundgesetz verstößt. Wegen der Sorge über einen Wegfall der Sonderregeln haben Übertragungen von Betriebsvermögen massiv zugenommen – die Schenkungsteuerstatistik dokumentiert einen Anstieg von knapp fünf Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 26 Milliarden Euro im Jahr 2012 – übrigens ohne nennenswerte Auswirkungen auf das Steueraufkommen.
Das anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt der Politik die Chance, die Erbschaftsteuer besser zu regeln. Ein Wegfall der Verschonungsregeln bei unveränderten Steuersätzen wäre keine gute Lösung – die Belastung für die Betriebe wäre zu hoch, Arbeitsplätze und Wachstum wären gefährdet. Richtig wäre es, die Steuersätze für alle Erbschaften und Schenkungen auf acht bis zehn Prozent zu begrenzen und bei Betriebsvermögen eine unbürokratische Stundung über beispielsweise acht Jahre zu gewähren. Dann könnte die Erbschaftsteuer in der Regel aus den Erträgen bezahlt werden, die krassen Ungerechtigkeiten und Effizienznachteile des bestehenden Systems wären beseitigt.