ZEW Lunch Debate in Brüssel – Experten diskutieren die Wirksamkeit des fiskalischen Regelwerks der Eurozone
ZEW Lunch Debate in BrüsselZu einer seiner regelmäßigen Lunch Debates hatte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im September 2015 in die Landesvertretung von Baden-Württemberg in Brüssel eingeladen. Thema der Veranstaltung war diesmal der neue finanzpolitische Ordnungsrahmen für Europa. Im Zentrum stand die Frage, ob diese neue Ordnung einen Quantensprung darstellt oder das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben steht.
Nach einer kurzen Begrüßung der Veranstaltungsteilnehmer durch den Leiter der Landesvertretung, Johannes Jung, führte der Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft, Prof. Dr. Friedrich Heinemann ins Thema ein und stellte seine beiden Mitdiskutanten vor: Prof. Albert Solé-Ollé von der Universität Barcelona und Nicolas Carnot von der Europäischen Kommission, der zuvor im französischen Finanzministerium und als Berater für den Internationalen Währungsfonds tätig war.
In seiner Präsentation zum Auftakt der Veranstaltung machte Heinemann deutlich, dass die bereits seit fünf Jahren anhaltende Finanzkrise zu einer Vielzahl von Änderungen und Ergänzungen im fiskalischen Regelwerk der Eurozone geführt hat. Instrumente wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurden substanziell reformiert, zahlreiche andere Innovationen wie etwa der Europäische Fiskalpakt wurden neu geschaffen. "Ursprünglich war der Vertrag von Maastricht als Zwei-Säulen-System aus Marktdisziplin und fiskalischen Regeln konzipiert. Allerdings sind über die Zeit die Regeln straflos gebrochen worden und die Marktdisziplin ist erodiert. Mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise stürzte dies vor allem die hoch verschuldeten Länder der Eurozone in große wirtschaftliche Probleme. In Folge wurde das fiskalische Regelwerk deutlich verstärkt", fasste Heinemann die Entwicklung seit dem Beginn der Euro-Finanzkrise im Jahr 2010 zusammen. Die Frage sei allerdings, ob dieses neue fiskalische Regelwerk auch wirke.
Einige Antworten auf diese Frage, so Heinemann, gebe eine am ZEW erstellte Meta-Studie, die auf Basis von 41 internationalen Studien die Wirksamkeit von Fiskalregeln in der Eurozone untersucht hat. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass ein strengeres fiskalisches Regelwerk tatsächlich einen Unterschied mache. Insbesondere seien Effekte bezüglich des staatlichen Ausgabeverhaltens und der Höhe des strukturellen Haushaltsdefizits nachweisbar.
Heinemann wies allerdings auch darauf hin, dass bei den bisherigen Reformbestrebungen aufgrund der Eurokrise einige wichtige Aspekte zu kurz gekommen seien. So gebe es bisher beispielsweise keine Verpflichtung für die Staaten der Eurozone, in besonders guten Zeiten mit hohen staatlichen Einnahmen oder bei sehr günstigen Finanzierungsbedingungen für staatliche Schulden, verstärkten Defizitabbau im Staatshaushalt zu betreiben oder, wenn möglich, sogar die Staatsverschuldung abzubauen. Auch die Rolle der Verwaltung im Rahmen von Reformen zur Bewältigung der Krise sei beträchtlich, machte der ZEW-Wissenschaftler deutlich. Es zeige sich jedoch, dass in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität aufgebaute große und einflussreiche Verwaltungen notwendige Reformen in Krisenzeiten eher behinderten und nicht vorantrieben. Außerdem würden in dieser Situation die hohen Kosten für die Verwaltung zu einer zusätzlichen Belastung für den Staatshaushalt.
Albert Solé-Ollé machte deutlich, dass viele der in Krisenzeiten zu Tage tretenden Probleme ihren Ursprung in guten wirtschaftlichen Tagen haben. "Es zeigt sich, dass wirtschaftlich gute Zeiten den Staat zu deutlichen Ausgabenerhöhungen verführen, die bei einem Ende des Booms nicht wieder so einfach zurückgeschraubt werden können", sagte Solé-Ollé. Als Beispiel verwies er auf den Boom des Bausektors in Spanien. In den Jahren von 1995 bis 2007 habe dieser zu unerwartet hohen Mehreinnahmen des Staates geführt, von denen alle staatlichen Ebenen – zentral, regional, lokal – profitiert hätten. Viel zu wenige dieser Einnahmen seien jedoch in nachhaltige Projekte geflossen oder zum Defizitabbau verwendet worden, einfach darauf vertrauend, dass der Bauboom anhalten werde. Als dann die Krise einsetzte, führte dies zu erheblichen Defiziten in den Haushalten, weil nur unzureichende Sparanstrengungen unternommen wurden und der Staat auf viel zu hohen Ausgaben festsaß. Es zeigte sich allerdings auch, dass manche Kommunen in den guten Zeiten besser vorgesorgt hatten und bei Ausbruch der Krise deutlich geringere Haushaltsdefizite ausweisen konnten. Für Solé-Ollé hat die Krise deutlich gemacht, dass das fiskalische Regelwerk der Eurozone auf jeden Fall stärker darauf hinwirken muss, den Staat und seine unterschiedlichen Ebenen dazu zu bringen, bereits in guten Zeiten für die kommenden schlechten vorzusorgen.
Zum Auftakt seines Statements wies Nicolas Carnot darauf hin, dass er zwar nicht für die Europäische Kommission sprechen könne, wohl aber auf Grundlage seiner langjährigen Erfahrung in verschiedenen internationalen Funktionen. Drei Punkte hielt er in Bezug auf die vorgetragenen wissenschaftlichen Befunde für besonders erwähnenswert.
Dass Fiskalregeln so angelegt sein sollten, dass sie auch in wirtschaftlich guten Zeiten zu nachhaltiger Haushaltsführung anregen sollten, erklärte er als weitgehend unstrittig. Eine Schwierigkeit sah er allerdings darin, immer genau zu identifizieren, wann eine gute Zeit denn gegeben sei.
Mit Blick auf die hinderliche Rolle großer Bürokratien bei Reformen in Krisenzeiten flocht Carnot die Überlegung ein, ob man sich bisher nicht zu stark auf die Höhe der Staatsverschuldung und deren Reduktion konzentriert habe. Möglicherweise müsse diese starke Konzentration auf die Makroebene durch die stärkere Einbeziehung der Mikroebene und damit eben auch der Bürokratie auf den verschiedenen staatlichen Ebenen ergänzt werden.
Seine dritte Bemerkung widmete Carnot der Rolle von Transfers innerhalb der Staaten der Eurozone sowie zwischen der EU und ihren Mitgliedsländern. Dabei betonte er, dass es wichtig sei, in diesem Zusammenhang zwischen allgemeinen wirtschaftlichen Schocks, die alle beträfen, und asymmetrischen Schocks, die sich nur auf bestimmte Regionen konzentrierten, zu unterscheiden. Im Falle eines allgemeinen Schocks sei es denkbar, dass de facto keine Versicherungswirkung vom Transfersystem ausgehe, da es dann ja allen schlecht gehe. Für diesen Fall sei es daher wichtig die Transfersysteme so auszugestalten, dass mit Hilfe von Fiskalregeln in ökonomisch guten Zeiten fiskalische Mittel zwingend zurückgestellt werden müssten, um eine Versicherungswirkung auch im Falle allgemeiner Schocks sicherzustellen.
Den Abschluss der Lunch Debate bildete auch diesmal wieder eine Diskussionsrunde, bei der auch die Teilnehmer Gelegenheit hatten, eigene Fragen und Überlegungen einzubringen. Unter anderem ging es um die Frage, wie das Vertrauen in die Stabilität der Eurozone wiederhergestellt werden könne, sowie das Thema, wie weit Reformen in Krisenländern, wie etwa Spanien, inzwischen eigentlich vorangekommen sind.
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