ZEW-Präsident Franz zum Thema "Fordern" im Rahmen des Arbeitslosengelds II
StandpunktDer Beitrag findet sich in der aktuellen Ausgabe der ZEWnews November 2005
Fordern
So allmählich scheint sich die bei der Einführung des Arbeitslosengelds II (ALG II) in einschlägigen Kreisen aufgeflammte Empörung darüber zu beruhigen, dass es der Staat wagt, sich nach der Bedürftigkeit der Bezieher von ALG II zu erkundigen. Immer noch wird verkannt, dass es sich beim ALG II nicht um eine Versicherungsleistung, sondern um einen Solidarbeitrag der Gesellschaft handelt. Nun aber droht den Hartz IV-Reformen neues Ungemach in Form von außerordentlich hohen zusätzlichen Finanzierungslasten. Hartz IV entwickelt sich nach Ansicht vieler Kommentatoren zum finanzpolitischenFiasko, zum Fass ohne Boden.
Eine seriöse Einschätzung der Finanzierungslasten des ALG II müsste dessen Ausgaben mit denen vergleichen, die sich im Jahr 2005 ergeben hätten, wenn die alten Regelungen bezüglich Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe weiter bestanden hätten. Dabei ist die tatsächliche Arbeitsmarktentwicklung dieses Jahres zugrunde zu legen, bereinigt um Effekte, die ausschließlich auf das ALG II zurückzuführen sind. Eine solche "kontrafaktische" Situation zu beobachten, ist logisch unmöglich und kann nur mit aufwändigen Methoden näherungsweise simuliert werden. Daher muss es hier hilfsweise bei einem bloßen Ausgabenvergleich bleiben.
Die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind, beliefen sich im Jahr 2004 auf rund 19 Milliarden Euro. Die Ausgaben der Kommunen für die Bezieher der früheren Sozialhilfe, die nun ALG II erhalten, können für das vergangene Jahr in einer Größenordnung von etwas mehr als 10 Milliarden Euro angesetzt werden. Damit ergeben sich Ausgaben in einer ungefähren Höhe von rund 30 Milliarden Euro, die den Ausgaben für ALG II-Bezieher im Jahr 2005 gegenüber zu stellen sind. Nach bisherigen offiziellen Schätzungen seitens der Bundesregierung hätte sich im Jahr 2005 insgesamt eine fiskalische Entlastung von etwas mehr als 3 Milliarden Euro ergeben sollen. Nun aber stellt sich heraus, dass diese Schätzungen viel zu optimistisch angelegt waren. Allein schon die Anzahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird wohl Ende dieses Jahres mit knapp 5 Millionen Personen um rund 2 Millionen höher liegen als seinerzeit veranschlagt. Das zusätzliche Ausgabenvolumen beläuft sich dann für den Bund auf mindestens 8 Milliarden Euro. Selbst unter Berücksichtigung einer gewissen Umverteilung der Finanzlasten von den Kommunen zum Bund (weil mehr erwerbsfähige Bezieher der bisherigen Sozialhilfe in das ALG II wechseln) gibt dieser Betrag zu Besorgnis Anlass.
Die Gründe für diese Fehlentwicklung müssen noch sorgfältig evaluiert werden, aber einige Vermutungen sind statthaft. Die Erwerbsfähigkeit ist beim ALG II sehr großzügig definiert, dass nämlich grundsätzlich täglich drei Stunden einer leichten Arbeit reichen. Als Folge wiesen die Kommunen eine hohe Anzahl von Sozialhilfeempfängern dem Bund als ALG II-Empfänger zu. Des Weiteren wurden die Regelsätze und Zuschläge beim ALG II nicht gerade knapp bemessen, anstatt sie weiter zu senken und im Gegenzug höhere Hinzuverdienstmöglichkeiten zu gewähren, so wie es seit geraumer Zeit seitens der Wissenschaft vorgeschlagen wurde, unter anderem vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Außerdem lädt die Konstruktion der "Bedarfsgemeinschaften" geradezu zum Bezug des ALG II ein. Es genügt der tatsächliche oder fingierte Auszug des volljährigen Jugendlichen aus dem Elternhaus oder des unverheirateten Partners aus der gemeinsamen Wohnung, damit diese Personen einen Anspruch auf ALG II und gegebenenfalls Wohngeld erwerben können, anstatt dass erst einmal Eltern beziehungsweise Partner mit ihrem Vermögen in die Pflicht genommen werden. Ohnehin ist ein gewisser Mentalitätswandel bei den Betroffenen nicht von der Hand zu weisen. Den Gang zum Sozialamt anzutreten, schämte man sich früher, nicht aber, jetzt bei der Arbeitsagentur vorzusprechen.
Die neue Bundesregierung steht mithin vor der Aufgabe, das "Fordern" beim "Fördern und Fordern" weitaus stärker zu betonen und konsequent durchzusetzen, beispielsweise die Solidarität der Familie einzufordern und Sanktionen bei Arbeitsunwilligkeit anzuwenden.