ZEW-Präsident Wolfgang Franz zur Debatte über die Verteilungsgerechtigkeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung - Schlechte Geschäfte

Standpunkt

Der Tod sei eine soziale Krankheit - an diesen, dem berühmten Pathologen Rudolf Virchow (1821-1902) zugeschriebenen Ausspruch erinnert die neu aufgeflammte Debatte über Verteilungsgerechtigkeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Zwar ist der positive statistische Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der Lebenserwartung längst bekannt und unstrittig. Gleichwohl dient er neuerdings zur Begründung einer stärkeren Umverteilung in der Gesetzlichen Rentenversicherung, welche in einschlägigen Zirkeln selbstverständlich auf begeisterten Zuspruch stößt.

Auf der Grundlage von Daten des Sozio-Oekonomischen Panels der Jahre 2000 bis 2004 errechnet sich für Männer eine Lebenserwartung von rund 71 Jahren, wenn sie ein monatliches Bruttoeinkommen unter 1.500 Euro erzielen und von 80 Jahren bei mehr als 4.500 Euro. Bei Frauen belaufen sich die Zahlen bei denselben Einkommenskategorien auf über 78 Jahre beziehungsweise über 87 Jahre. Frauen leben mithin im statistischen Durchschnitt knapp sieben Jahre länger. Wenn man möchte, lassen sich freilich noch ganz andere Zusammenhänge konstatieren. Alte Eltern und Großeltern bieten gute Chancen, sich selbst auch eines langen Lebens zu erfreuen. Hingegen muss ein übergewichtiger Raucher im Alter von 40 Jahren damit rechnen, dass er zwischen 13 und 14 Jahre an mittlerer Lebenserwartung einbüßt. Und schließlich: Nach Angaben von Bert Rürup, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, werden protestantische Pastoren älter als Journalisten - wer hätte das gedacht. So weit der Befund, woraus sich die Gefechtslage ergibt. Gutverdiener sollen - so die Forderung - höhere Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, Geringverdiener analog entlastet werden, weil für sie das derzeitige System ein schlechtes Geschäft sei. Aber warum auf halbem Wege stehen bleiben? Möge doch die Gesetzliche Rentenversicherung ebenso Beitragspflichtige mit alten Eltern und Großeltern, Schlanke und Nichtraucher, protestantische Pastoren und - horribile dictu - Frauen entsprechend stärker zur Kasse bitten. Damit sollten "Unisex-Tarife" dann generell wieder ad acta gelegt werden, eine nicht unwillkommene Vorstellung - zumindest aus der Sicht der Männer. Aber wieso sollen Differenzierungen nur bei der gesetzlichen Rentenversicherung stattfinden? Die Arbeitslosenversicherung bietet sich gleichfalls an. Gut ausgebildete Arbeitnehmer besitzen ein weitaus niedrigeres Arbeitslosigkeitsrisiko als gering qualifizierte. Da dies bekannt ist und es vor allem junge Leute zu einem guten Teil selbst in der Hand haben, in ihr Humankapital zu investieren, wäre es so gesehen nur recht und billig, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mit höherer Qualifikation des Arbeitnehmers zu senken und vice versa. Ist dieser Gedanke nicht von vornherein abwegig? Gleichwohl verstoßen diese Überlegungen zu differenzierten Beitragszahlungen gegen ein Prinzip, welches nach allgemeiner, obschon nicht unumstößlicher Auffassung ein konstitutives Merkmal der Sozialversicherung darstellt. Deren Kennzeichen sei das Solidaritätsprinzip, das heißt individuelle Risiken der Versicherten werden durch Beiträge, die von diesen Risiken beeinflussenden Merkmalen abstrahieren, wegtypisiert und dadurch von allen Versicherten gemeinsam getragen. Wie dem auch immer sein mag, mit der gesetzlichen Rentenversicherung bedienen sich die Einkommensumverteiler eines untauglichen Objekts. Umverteilung sollte dort betrieben werden, wo sie hingehört, nämlich im Steuersystem, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Transferzahlungen. Außerdem muss bei der Diskussion über die Verteilungsgerechtigkeit der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von derzeit rund 55 Milliarden Euro berücksichtigt werden, zu dessen Aufbringung Steuerzahler mit hohen Einkommen weit überproportional beitragen.