ZEW-Präsident Wolfgang Franz zur Arbeitslosenversicherung
StandpunktAuf den ersten Blick mag es sich fair oder gerecht, zumindest aber plausibel anhören und vermutlich des Beifalls vieler Bürger gewiss sein: Wer während eines langen Erwerbslebens treu und brav Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet hat, soll bei Arbeitslosigkeit nicht mit derselben Bezugsdauer des Arbeitslosengelds abgespeist werden wie diejenigen Arbeitslosen, die erst eine relativ kurze Zeit in diese Versicherung eingezahlt haben. Also liegt die wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung scheinbar auf der Hand, nämlich die Dauer der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosengeld von der Länge der Einzahlungsperiode abhängig zu gestalten, dies dann allerdings aufkommensneutral.
Ein solcher Vorschlag seitens prominenter Politiker führt indessen in die Irre, und zwar aus einer Reihe von Gründen. Zunächst: Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversicherung und keine Ansparversicherung. Man versichert sich, wenngleich in begrenztem Umfang, gegen den Einkommensverlust bei Arbeitslosigkeit. Von daher gesehen ähnelt sie einer Krankenversicherung, die für die finanziellen Folgen einer Krankheit etwa in Form von Arzt- und Apothekenrechnungen aufkommt, gegebenenfalls ebenso wie die Arbeitslosenversicherung in begrenztem Umfang. Die Leistungen der Krankenversicherung richten sich nach medizinischen Notwendigkeiten und nicht danach, wie lange die Mitgliedschaft bereits bestanden hat, von Wartezeiten einmal abgesehen. Analoges gilt beispielsweise für die Hausratsversicherung. Sind diese Versicherungen ungerecht? Des Weiteren: Wie empirische Studien gut belegen, führt eine großzügiger bemessene Bezugsdauer des Arbeitslosengelds kausal zu einer längeren Dauer der Arbeitslosigkeit, fördert damit also das Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit. Eine solche Entwicklung ist nicht zuletzt angesichts des – auch im internationalen Vergleich – hohen Anteils von Langzeitarbeitslosen am Bestand aller Arbeitslosen (rund 40 v.H.) höchst unerwünscht. Schließlich: Hinter der geforderten, für sich genommen richtigen Aufkommensneutralität steckt eine Verschiebung zu Lasten der Arbeitslosen, deren Beitragspflicht erst eine vergleichsweise kurze Zeitspanne umfasst, mithin in erster Linie Jugendliche. Das mag mit dem Vorschlag billigend in Kauf genommen worden oder sogar gewollt sein. Dann sollte es aber der Redlichkeit halber auch gesagt werden. So wie er in der Öffentlichkeit vorgetragen wird, ist der Vorschlag abzulehnen. Dies schließt weitergehende Pläne, die in dieselbe Richtung zielen, nicht von vorneherein aus. Beispielsweise könnte die Bundesagentur für Arbeit freiwillige Zusatztarife anbieten, denen zufolge die Versicherten ein Arbeitslosengeld über die gesetzliche Dauer der Anspruchsberechtigung hinaus erhalten. Die Kosten dafür trägt der Arbeitnehmer. Private Versicherungen als Anbieter solcher Zusatzversicherungen wären nicht ausgeschlossen, obwohl es angesichts des systemischen Risikos einer Arbeitslosigkeit – unter anderem bei schweren Rezessionen oder gar Depressionen – fraglich ist, ob ein diesbezüglicher privater Versicherungsmarkt überhaupt zustande kommt. Eine noch weitergehende Idee zur Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung läuft darauf hinaus, die Beiträge jedes Arbeitnehmers zur Arbeitslosenversicherung auf einem individuellen Konto gutzuschreiben. Bleibt den Betreffenden Arbeitslosigkeit erspart, wird ihnen der volle Betrag bei Beendigung ihres Erwerbslebens ausgezahlt. Andernfalls wird das Konto mit den ausgezahlten Arbeitslosengeldern belastet, gegebenenfalls gerät es ins Defizit. Damit besteht für den Arbeitnehmer ein stärkerer Anreiz als bisher, Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden oder ihre Dauer zu verkürzen. Weist das Konto bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsmarkt immer noch rote Zahlen auf, springt eine staatliche Unterstützungszahlung – etwa in Gestalt des Arbeitslosengelds II – ein, analog wie jetzt.