ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Finanzkrise"
StandpunktEs lohnt sich, die Ingredienzien jenes Giftcocktails, der als Finanzkrise die Welt in Atem hält, herauszuarbeiten, um die Verantwortlichen klar zu benennen und erste Lehren für eine Krisenprävention zu ziehen. Die Vereinigten Staaten schütteten die Basisspirituosen in den Shaker: eine zu expansive Geldpolitik, eine nicht zuletzt auf staatlichen Druck unverantwortliche Gewährung von Hypotheken an einkommensschwache Haushalte, regulatorische Defizite und eine eklatante Fehleinschätzung der systemischen Wirkungen des Zusammenbruchs von Lehman Brothers auf die globalen Finanzmärkte. So gesehen muten die zahlreichen Belehrungen aus den Vereinigten Staaten, wie anderswo das Finanzsystem zu gestalten sei, etwas deplatziert an. Vielleicht sollte dieser Barkeeper mal eine Runde aussetzen und seinen Kollegen zuschauen.
Toxische Zutaten für den Cocktail kamen dann von verschiedenen Seiten. Die zunehmende Verbreitung des "Originate and Distribute" - Modells auf den Finanzmärkten, also einer Geschäftspolitik, bei der Banken die von ihnen vergebenen und oft problembehafteten Kredite so rasch wie möglich an Investoren weiterreichten, feuerte die Finanzkrise ebenso an wie die Technik der Strukturierung, bei der im vorliegenden Fall drittklassige US-Immobilienkredite zu einem großen Teil in scheinbar erstklassige Aktiva transformiert wurden. Aus höchst minderwertigen Zutaten wurde so ein anscheinend hochbekömmlicher Fancy-Drink gemixt, der obendrein von Testern ("Rating Agenturen") unvertretbar hohe Prädikate erhielt. Die Verbriefung und Strukturierung als solche stellen sinnvolle Finanzprodukte dar, nur muss der Inhalt bekannt sein. Des Weiteren sollte die Bank, welche eine Verbriefung vornimmt, verpflichtet werden, einen Anteil besonders riskanter Tranchen der Forderungen in ihrem Portfolio zu behalten. Die Rating Agenturen müssen künftig einer strengen Aufsicht unterliegen.
Einmal geschüttelt (nicht gerührt), entwickelte der Cocktail eine gefährliche Eigendynamik. In Phasen mit niedrigen Zinsen und einer guten Ertragslage ist es für die Banken attraktiv, die Rendite ihres Eigenkapitals durch eine steigende Fremd finanzierung "hochzuhebeln" (Leverage-Effekt). Wenn es aber zu einem Abschwung und einem damit einhergehenden Wertverfall der Aktiva kommt, steht die Bank vor der Alternative, sich entweder neues Eigenkapital zu beschaffen oder das Kreditvolumen massiv zurückzufahren (Deleveraging). Da der letzte Schritt eine Kreditklemme für die Realwirtschaft mit negativen Folgen für die Investitionstätigkeit nach sich zieht, sieht das Finanzmarktstabilisierungsgesetz in Deutschland folgerichtig Rekapitalisierungsmaßnahmen vor, welche den Banken und Versicherungen die Möglichkeit einer staatlichen Eigenkapitalhilfe eröffnen. Allerdings muss sich der Staat so bald wie möglich zurückziehen und wieder funktionstüchtige marktwirtschaftliche Strukturen schaffen, denn ein effizientes und international wettbewerbsfähiges Finanzsystem ist eine wichtige Voraussetzung für gesamtwirtschaftliches Wachstum.
Während sich die Patienten von den verheerenden Wirkungen des Giftcocktails hoffentlich bald erholen und die Intensivstation verlassen können, ist eine effiziente Krisenprävention angesagt. Der Barbetrieb bedarf einer besseren Regulierung, ohne dass die Bar mangels Attraktivität austrocknet. Für die globalen Finanzmärkte bedeutet dies eine effiziente Finanzarchitektur auf internationaler Ebene. Dazu hat neben anderen der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem neuen Jahresgutachten Vorschläge unterbreitet. Sie laufen auf ein internationales Risikoerkennungs- und Frühwarnsystem einschließlich eines internationalen Kreditregisters, auf eine internationale Aufsicht über die nationalen Bankenaufsichten, die ihre Selbstständigkeit behalten, und eine Reform des internationalen Abkommens über Eigenkapitalanforderungen bei Banken (Basel II) hinaus. Der Weltfinanzgipfel vom 15. November 2008 hat zu erkennen gegeben, dass die noch zu erarbeitenden Regelungen in Teilen durchaus in diese Richtung gehen könnten.