ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Rentenpolitik"
StandpunktGeschenke erhalten einer bekannten Redewendung zufolge die Freundschaft. Das ist vor Wahlen nicht anders und das Wahlvolk nimmt es gelassen hin,weil die Wohltaten nach dem Urnengang meist wieder eingesammelt werden. Vor drei Jahren fand es nach Presseberichten ein führender Politiker, mittlerweile zum Parteivorsitzenden avanciert, sogar "unfair", sich und seine Zunft an Wahlaussagen messen zu lassen. Für wie blauäugig muss daher die Bundesregierung die Rentner halten, so als ob sich diese von der neuesten rentenpolitischen Wahlnummer vereinnahmen ließen, wonach Rentenkürzungen für alle Zeiten ausgeschlossen werden, komme was wolle.
Das rentenpolitische Sündenregister nimmt allmählich beängstigende Ausmaße an. Die Rentenformel wird schleichend durch eine Rentenpolitik nach Umfragewerten ersetzt. Um die rentenpolitischen Missetaten zu verstehen, bedarf es eines kleinen Exkurses über einige Bestimmungsfaktoren der Anpassung der Altersrenten, wobei auf Details verzichtet wird. Gemäß der Rentenformel entscheidet über die Anpassung der Renten zunächst die Entwicklung der Bruttolöhne und Bruttogehälter je Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren, wobei den versicherungspflichtigen Entgelten als der eigentlichen Finanzierungsbasis der Rentenversicherung ein besonderes Gewicht zukommt. Die so ermittelte Rentenanpassung wird nun mit mehreren Korrekturfaktoren versehen. Dazu zwei Kostproben. Erstens mindert eine Erhöhung der Beitragssätze zur Gesetzlichen Rentenversicherung die Rentenanpassung. Zusätzlich und analog gehen fiktive Belastungsveränderungen im Zusammenhang mit der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge in die Rentenformel ein. Diese "Riester-Treppe" sah vor, dass ab dem Jahr 2002 ein fiktiver Altersvorsorge-Beitragssatz in Schritten von jährlich 0,5 v. H. bis kumuliert zu einem Satz von 4 v. H. im Jahr 2010 die Rentenanpassung verringert. Damit wollte man Belastungen der Beitragszahler für die gesetzliche und private Altersvorsorge ähnlich behandeln, nämlich mit Mindersteigerungen der gesetzlichen Rente für eine gewisse Entlastung der Beitragszahler Sorge tragen. Allerdings setzte die Bundesregierung im Jahr 2008 das stufenweise Erklimmen der Riester-Treppe aus, sodass das endgültige Niveau von 4 v. H. nicht mehr wie geplant im Jahr 2010, sondern erst im Jahr 2012 erreicht wird. Der erste Sündenfall. Zweitens wurden im Jahr 2004 "Schutzklauseln" eingeführt. Falls sich aus der Veränderung der Lohnkomponente zwar ein höherer Rentenwert ergäbe, die übrigen Komponenten der Anpassungsformel - unter anderen die Riester-Treppe - in der Summe ihrer Wirkung diese Erhöhung überkompensieren, dies also zu einer Absenkung des Rentenniveaus führen würde, verhindern die Schutzklauseln eben diese Absenkung. Der zweite Sündfall. Er wurde durch die Einführung eines weiteren Korrekturfaktors, nämlich des "Nachholfaktors" zu heilen versucht. Im Jahr 2007 wurde nämlich beschlossen, dass ab dem Jahr 2011 die sich sonst ergebenden Rentenerhöhungen halbiert werden, um dem aufgeschobenen Ausgleichsbedarf Rechnung zu tragen. Wieso die nächste Bundesregierung Maßnahmen zu ergreifen willens sein soll, welche sich die derzeitige Bundesregierung nicht traute - ein Schuft, wer Böses dabei denkt. Der dritte Sündenfall wurde eingangs bereits erwähnt. Die Schutzklauseln werden dahingehend erweitert, dass Altersrenten niemals sinken können. Die Beitragszahler mögen als Folge der Rezession noch so gebeutelt werden, Nullrunden bei der Rentenanpassung sind das Schlimmste, was den Rentnern passieren kann. Wohlgemerkt: Das betrifft derzeit eine Rentnergeneration, der es insgesamt betrachtet materiell noch nie so gut gegangen ist wie jetzt. Eine Zeitlang sah es aus, als hätte Deutschland hinsichtlich seiner Gesetzlichen Rentenversicherung seine Hausaufgaben weitgehend erledigt. Eine Rückkehr zu jenen Tugenden ist dringend notwendig, denn die Demografie bleibt unerbittlich.