ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Finanzmarktanalyse"

Standpunkt

Schadenfreude ist für manche Leute bekanntlich die schönste Freude. Diesmal trifft es die Zunft der Ökonomen und zwar knallhart. Hämisch wird ihr vor allem von den Kriikern, denen der "Terror der Ökonomie" seit langem auf die Nerven ging, vorgeworfen, die Finanzkrise nicht vorausgesehen zu haben und nun vor dem Scherbenhaufen eines grandios zusammengebrochenen Theoriegebäudes zu stehen. Die Gelegenheit scheint für die Gegner der Ökonomen günstig, zur Generalabrechnung zu schreiten. Der Neoliberalismus sei am Ende. Sein Credo, funktionstüchtige Märkte erbrächten Wohlfahrtsgewinne, sei offenkundig und eindrucksvoll widerlegt und zwar nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern überhaupt. Also weg mit den Reformen am Arbeitsmarkt und bei der Gesetzlichen Rentenversicherung. Stattdessen her mit ansehnlichen Mindestlöhnen und einer saftigen Besteuerung der Reichen.

Müssen die "Mainstream-Ökonomen" mithin das Büßerhemd anziehen und den Gang nach Canossa zu den Staatsgläubigen und Sozialromantikern antreten? Mitnichten. Gewiss: Die "Große Moderation" in Form geringer Konjunkturschwankungen war vorerst eine Episode und die Hoffnung, die Volatilität der Wirtschaftsaktivität nunmehr im Griff zu haben, hat sich als trügerisch erwiesen. Sicherlich müssen zudem eine Reihe von ehrbüchern über die Funktionsweise von Finanzmärkten an einigen Stellen umgeschrieben werden. Aber: Seit eh und je haben Ökonomen, einschließlich strenggläubiger Marktwirtschaftler, auf die Notwendigkeit streng regulierter Finanzmärkte hingewiesen. So zu tun, als ob die Finanzmärkte endlich mal reguliert werden müssten, geht haarscharf am Punkt vorbei. Sie sind reguliert, nur nicht immer effizient genug. So zu tun, als hätte es die ökonomische Theorie an Einsichten über falsche Anreize und Instabilitäten auf Finanzmärkten fehlen lassen, zeugt schlicht von fehlender Literaturkenntnis. Dem kann indes schnell mit eigenen Kostenproben einschlägiger ökonomischer Einsichten abgeholfen werden. Die Literatur zum Prinzipal-Agenten-Problem zeigt, dass es für Aktionäre schwierig ist, die Manager ihres Unternehmens zu überwachen. Die Manager verfügen über (finanzielle) Anreize, Entscheidungen im operativen Geschäft an kurzfristigen Erfolgen anstatt am längerfristigen Wohlergehen des Unternehmens zu fällen. Diese Literatur ist alles andere als unter ferner liefen einzuordnen, vor zwei Jahren wurde sie mit Nobelpreisen gewürdigt. Die Informationsökonomie ist in der Volkswirtschaft fest etabliert, insbesondere im Hinblick auf das Problem einer "adversen Selektion". Das heißt, Kreditgeber sind in der Regel über die Risiken schlechter informiert als die Kreditnehmer. Bei höheren Zinsen kann dies zur Folge haben, dass besonders riskante Kreditnehmer am ehesten bei der Kreditvergabe zum Zuge kommen. Den Begriff "moralisches Risiko" (moral hazard) zu kennen, gehört zur Allgemeinbildung. Im vorliegenden Zusammenhang kann es zum Eingehen höherer Risiken führen, wenn dies mit dem Geld anderer Leute finanziert wird oder die begründete Hoffnung auf Rettungsschirme besteht. Ein Blick in diese Literatur, für die es anfangs dieses Jahrzehnts ebenfalls den Nobelpreis gab, hätte die für die Regulierung der Finanzmärkte Verantwortlichen vielleicht zu vertiefterem Nachdenken veranlasst. Die Liste lässt sich erheblich verlängern, angefangen von dem weiten Feld der "Behavioral Economics", welches das Herdenverhalten auf den Finanzmärkten analysiert, über zahlreiche Beiträge zur Prozyklizität der Eigenkapitalunterlegung gemäß Basel II bis hin zur Warnung vor dem Platzen der Immobilienpreisblase in den Vereinigten Staaten. Wem die Lektüre dieser Beiträge allerdings zu lästig ist und wer lieber den Verheißungen diverser (professoraler) Management-Gurus und Consultants glaubt, der darf sich nicht über seine Ahnungslosigkeit beschweren.