Hitparade
StandpunktWir schreiben das Jahr 2015 und es ist mal wieder Montagmorgen. In den Universitäten sitzen die Wirtschaftswissenschaftler spannungsgeladen vor ihren Bildschirmen, denn pünktlich um 10.00.00 Uhr kann man beim Handelsblatt die wöchentliche Ranking-Liste herunterladen. Wie üblich bricht der Server unter dem Ansturm der Anfragen erst einmal zusammen. Aber endlich ist es soweit, die Hitliste kann eingesehen werden. Für jeden Wissenschaftler und jede Fakultät wird, fein säuberlich getrennt nach A-Journals, B-Journals – und horribile dictu – C-Journals, die Anzahl der Publikationen und Zitierungen und deren Veränderungen ausgewiesen und eine Best-Performance Rangliste gleich mitgeliefert.
Die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität X ist alarmiert. Sie ist von Platz 11 auf Platz 13 gefallen, die Schande groß. Schuld ist Kollege Y, mal wieder. Er hat in der letzten Woche weder hochrangig publiziert, noch ist er in einem Beitrag zitiert worden. Der Dekan ruft eine Sondersitzung des Fakultätsrats ein. Kollege Y gibt sich zerknirscht und gelobt Besserung, weist indes darauf hin, dass die Tragweite seines eingereichten nobelpreisverdächtigen Artikels immer noch nicht erkannt sei und der Herausgeber des A-Journals, der den Beitrag abgelehnt habe, bekanntlich die Ignoranz in Person sei. All dies weise doch wohl auf die Unzulänglichkeit der Hitliste hin. Kollege Y ist offensichtlich in der Midlife-Krise angekommen.
Die Fakultät gibt sich damit nicht zufrieden. Hatte sie doch in der Zielvereinbarung mit dem Rektorat, als es um die Mittelzuweisung ging, zugesagt, mindestens Platz 10 zu erreichen. Abhilfe tut also not und sie erscheint in Gestalt der neu zu besetzenden Professur für Wirtschaftspolitik. Der oder die zu Berufende müsse das aufgetretene Defizit überkompensieren und dafür käme nur Kollege Z von der US-Top-10 Universität V in Betracht. Einwände werden vom Tisch gewischt: Dass Kollege Z ausschließlich Wirtschaftstheorie betreibe und sich keinen Deut um wirtschaftspolitische Anwendungen kümmere. Dass Kollege Z dem erfolgreichen Zitationszirkel "do ut des" angehöre. Dass Kollege Z eigentlich immer das selbe in Form eines Themas mit Variationen schreibe. Dass Kollege Z ein notorischer Eigenbrötler sei, unfähig zu kommunizieren und ein Amt in der akademischen Selbstverwaltung zu bekleiden. Und so geht es weiter. Kollege Z wird schließlich berufen, selbstverständlich von Lehrverpflichtungen, erst recht im Grundstudium, befreit. Das erledigt zur Strafe jetzt Kollege Y, die Leidensfähigkeit der Studierenden wird das auch noch verkraften.
Zurück ins Jahr 2010. Karikaturen wie die obige übertreiben natürlich mehr oder weniger stark und deshalb braucht sich keine Fakultät vollumfänglich angesprochen zu fühlen. Aber Karikaturen besitzen meist einen wahren Kern. Er drückt im vorliegenden Zusammenhang die Sorge aus, dass das Pendel bei der Gewichtung von Publikationen und Zitationen im Rahmen der Leistungsbewertung von Wissenschaftlern zu weit ausgeschlagen hat, etwa in der Form, dass sich Fakultäten mit ihrer Berufungspolitik ausschließlich in Ranking-Listen einkaufen wollen, koste es was es wolle. Dabei werden andere wichtige Aufgaben oft übersehen oder untergewichtet, vor allem die Lehre, aber nicht nur sie, sondern etwa auch Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung und in der institutionalisierten wirtschaftspolitischen Beratung.
Sicherlich gibt es hervorragende Forschungspersönlichkeiten, die sich zudem erfolgreich in der akademischen Lehre engagieren. Sie stellen einen Gewinn für jede Fakultät dar. Das Problem beginnt mit in der Forschung bestens ausgewiesenen Personen, die den Aufwand, den eine gute Lehre erfordert, scheuen und diese verweigern. Dem Ranking täte ihre Berufung gut, die Lehre bliebe (partiell) auf der Strecke. Diese Leute von der Lehre freizustellen, schafft böses Blut in der Fakultät, denn andere Mitglieder müssen die Lücke füllen. Und noch einen Schritt weiterzugehen und gemäß dem Prinzip der Arbeitsteilung generell eine Trennung in Forschungsprofessuren und Lehrprofessuren vorzunehmen, hieße, eine Zweiklassengesellschaft einzuführen. Dem inneren Zusammenhalt einer Fakultät dient dies nicht.