Was bringt eine EU-Arbeitslosenversicherung für die Eurozone?

Nachgefragt

Die Eurokrise hat eine Debatte um eine tiefere fiskalische Integration in der Europäischen Union entfacht. In diesem Zusammenhang wird seit längerem die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung der Eurozone diskutiert. Dr. Mathias Dolls, stellvertretender Leiter der ZEW-Forschungsgruppe "Internationale Verteilungsanalysen", äußert sich zu den Chancen und Risiken, die eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung für die Staaten der Eurozone birgt.

Wie könnte eine Arbeitslosenversicherung auf europäischer Ebene aussehen?

Im Wesentlichen werden zwei Modelle diskutiert. Das erste Modell sieht vor, dass sich die Mitgliedsstaaten der Eurozone auf Mindeststandards für ihre nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme einigen, die in einem zweiten Schritt in einer europäischen Arbeitslosenversicherung eingeführt werden. Jeder Mitgliedsstaat könnte mit seiner nationalen Arbeitslosenversicherung über die Mindeststandards hinausgehen, etwa indem eine höhere Lohnersatzrate oder ein längerer Transferbezug gewährt werden. Dadurch würde die europäische Versicherung einen Teil der nationalen Versicherung ersetzen. Die Finanzierung könnte wie bei den nationalen Systemen über Sozialversicherungsbeiträge erfolgen. Das zweite Modell sieht eine Rückversicherung der nationalen Versicherungssysteme durch einen europäischen Fonds vor. Dabei gibt es zwei zentrale Unterschiede: Die nationalen Systeme würden vollständig bestehen bleiben, Arbeitslose würden also weiterhin Transfers daraus erhalten, die dann von der europäischen Versicherung rückversichert würden. Außerdem würde die europäische Rückversicherung nur in großen Wirtschaftskrisen aktiviert, etwa dann, wenn die Arbeitslosenquote besonders stark anstiege.

Unabhängig vom Modell: Worin besteht grundsätzlich der Mehrwert einer EU-Arbeitslosenversicherung?

Der Mehrwert hängt davon ab, in welchem Ausmaß asymmetrische makroökonomische Schocks in der Eurozone abgefedert werden können, also Schocks, die die einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich stark treffen. Unsere Forschung am ZEW hat gezeigt, dass im Zeitraum zwischen 2000 und 2013 zirka zehn Prozent der Einkommensschwankungen am Arbeitsmarkt durch eine europäische Arbeitslosenversicherung abgefedert worden wären. Sie hätte also insgesamt antizyklisch gewirkt und somit zur Stabilisierung der Eurozone beigetragen.

Worin bestehen die größten Risiken und welche Möglichkeiten gibt es, damit fertig zu werden?

Vor allem darf ein fiskalischer Versicherungsmechanismus nicht zu permanenten Transfers zwischen den Mitgliedsstaaten führen, was auf starken Widerstand in den Nettozahler-Ländern stoßen würde und politisch auch nicht durchsetzbar wäre. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die politische Reformbereitschaft in Ländern mit strukturellen Arbeitsmarktproblemen nicht geschwächt wird. Bei einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung, die ausschließlich konjunkturell bedingte Kurzzeitarbeitslosigkeit berücksichtigt, wäre die Mehrzahl der Mitgliedsländer, unter anderem auch Deutschland, in manchen Jahren Nettozahler und in anderen Jahren Nettoempfänger gewesen. Es gibt allerdings einige Ausnahmen. Ein mögliches Instrument, um die Wahrscheinlichkeit einseitiger Transfers zu verringern und negativen Anreizwirkungen entgegenzuwirken, wären risikoabhängige, länderspezifische Versicherungsprämien. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine Harmonisierung der nationalen Arbeitsmarktpolitiken. Sonst ist die Gefahr groß, dass Länder mit rigiden Arbeitsmärkten auf Kosten anderer Länder mit flexiblen Arbeitsmärkten profitieren. Daher sollte die Teilnahme am gemeinsamen Arbeitslosenversicherungssystem an die Erfüllung von Stabilitätskriterien und Reformanstrengungen geknüpft werden.

Wie lässt sich eine europäische Fiskalunion langfristig umsetzen?

Europa hat sich ja bereits auf einen Stabilitätsmechanismus und die Bankenunion verständigt. Der ZEW-Entwurf für eine Fiskalunion sieht ein Staatsinsolvenzverfahren sowie einen fiskalischen Versicherungsmechanismus in Form einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung vor. Die Kombination dieser beiden Instrumente würde die Marktdisziplin stärken und dazu beitragen, große asymmetrische Schocks abzufedern. Zusammen mit weiteren Reformen im Bankensektor könnte die Eurozone auf ein solides Fundament gestellt werden. Auch wenn diese Vorschläge kurzfristig politisch nicht durchsetzbar erscheinen, ist es wichtig, eine nachhaltige Vision für die Eurozone nicht aus den Augen zu verlieren.