Auf dem Podium (v.l.): Roberto Tamborini, Hans Vijlbrief, Moderatorin Silke Wettach, Friedrich Heinemann und Paulina Dejmeck-Hack.

Die aktuelle Debatte um eine Reform der Eurozone spitzt sich zu. Die Europäische Kommission hat dabei vorgeschlagen, einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister einzusetzen mit dem Ziel, die komplexen und fragmentierten Entscheidungsprozesse innerhalb der Europäischen Währungsunion zu straffen. Solche und weitere Forderungen verlangen den EU-Mitgliedern perspektivisch die Abgabe weiterer Souveränitätsrechte ab. Wie können diese Reformpläne erfolgreich umgesetzt werden und wie wird die Eurozone in Zukunft aussehen? Welches Potenzial hätte ein Europäischer Finanzminister und welche Hindernisse stellen sich dem entgegen? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der ZEW Lunch Debate „Reforming the Eurozone: Prospects and Challenges“, die vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, gemeinsam mit dem Forschungsnetzwerk EconPol Europe ausgerichtet wurde. Bei dieser Veranstaltung diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft am 2. Mai 2018 in der Brüsseler Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der EU.

Nach einer Begrüßung durch den Leiter der Landesvertretung, Bodo Lehman, stellte Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, die Ergebnisse einer aktuellen Studie vor,die sich mit der Rolle eines Europäischen Ministers für Wirtschaft und Finanzen (EMWF) in einer Europäischen Fiskalunion befasst. Laut Vorschlag der EU-Kommission, würde der Minister als Vizepräsident der Kommission sowie als Präsident der Eurogruppe fungieren und eine umfassende Steuerungs- und Koordinationsrolle übernehmen.

Die ZEW/EconPol-Analyse geht dabei der Frage nach, ob ein solcher europäischer Finanzminister hilfreich sein könnten, nun angemessene Lösungen für spezifische Herausforderungen der Fiskalunion zu finden. Aufgeteilt in die vier Dimensionen Fiskalische Nachhaltigkeit, makroökonomische Schocks, Anreize für Strukturreformen und die optimale Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter, plädierte Heinemann dafür, einem europäischen Finanzminister zunächst keine Priorität auf der europäischen Agenda einzuräumen. Zwar könne eine solche politische Rolle leicht positive Wirkungen mit Blick auf die Stabilisierungspolitik und bei Strukturreformen haben, dennoch gebe es zu viele Defizite und offene Baustellen. Gerade in Bezug auf europäische öffentliche Güter und fiskalische Nachhaltigkeit würde ein Europäischer Finanzminister nicht zum europäischen Mehrwert beitragen, sondern sich kontraproduktiv auswirken. Zudem würde durch die Bündelung von Aufgaben in einer Institution und respektive einer Person sowohl Komplementaritäten als auch Konflikte entstehen. Außerordentliche Verantwortlichkeiten für eine Person könnten zu Engpässen führen. Aus politischer Sicht käme hinzu, dass ein Minister mit einem solch breiten Portfolio ein mächtiger Akteurwäre, der auf Widerstand bei den Mitgliedstaaten stoßen würde.

Ein europaweiter politischer Konsens gestaltet sich schwierig

Mit Friedrich Heinemann diskutierten im Anschluss an den Vortrag auf dem Podium Paulina Dejmek-Hack, Wirtschaftliche Beraterin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Hans Vijlbrief , Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Euro-Gruppe" beim Rat der Europäischen Union und Prof. Roberto Tamborini, PhD, Lehrstuhlinhaber für Politische Ökonomie an der Universität Trient. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von der Journalistin Silke Wettach, EU-Korrespondentin des Nachrichtenmagazins "Wirtschaftswoche". Das Panel war sich einig, dass der Vorschlag eines Europäischen Finanzministers ein untergeordneter Teil eines Fahrplans für mehrere konkrete Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sei. Ein solches Projekt könne dann auf die Tagesordnung kommen, wenn grundlegende Probleme und Strukturen geklärt seien. Paulina Dejmeck-Hack verdeutlichte, dass die Ausgestaltung eines breiten Reformpakets kein einfach voranschreitender Prozess sei. Aus diesem Grund dürfe man die Instrumente zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht getrennt sehen, sondern müsse sie als Bestandteil der gesamten Finanzarchitektur der Union betrachten. Die EU-Kommission habe notwendige Schritte unternommen, die diese Architektur weiter stärkten. Dabei hob sie eines der Kernanliegen zur Vervollständigung der Bankenunion als besonders wichtig hervor, das bisher heftig umstrittene gemeinsame System der Einlagensicherung (EDIS).

Auch Hans Vijlbrief zeigte sich optimistisch mit Blick auf den bisher eingeschlagenen Weg. Er rechnet damit, dass im Juni 2018 "konkrete Entscheidungen" zur Zukunft der Währungsunion fallen werden. Realistisch seien ein neuer Zeitplan sowie klare Bedingungen zur weiteren Integration. Er mahnte an, sich graduelle Fortschritte als Ziel zu setzen, nicht vereinzelte politische Siege. Roberto Tamborini setzt ebenfalls auf schrittweisen Fortschritt und betonte in diesem Sinne die Rolle der Wissenschaft, die alternative Wege aufzeige. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass das institutionelle Design der Finanzarchitektur nicht funktioniert habe, man deshalb vorsorgliche stabilisierende wie nachhaltige Veränderungen vornehmen müsse – ein Europäischer Finanzminister könnte dabei die Rolle eines Katalysators übernehmen. Allerdings müsste dieser mit einer klaren Passung in das Reformpaket integriert werden.

In der anschließenden Debatte brachten sich viele der 170 Gäste, darunter Vertreterinnen und Vertreter der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft durch Vorschläge und kritische Anmerkungen ein. Wie können Unterschiede der Mitgliedstaaten ausgeglichen werden? Wie wichtig ist eine soziale Dimension der Eurozone und welche Risiken birgt ein makro-soziales Ungleichgewicht? Und braucht man für eine europäische Währungsunion nicht letztlich eine gemeinsame Wirtschaftspolitik? Fragen, die die Notwendigkeit einer vertieften Auseinandersetzung mit den Reformelementen und deren möglichen Auswirkungen sowie erwarteten Herausforderungen verdeutlichen.

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