Europa braucht eine diffusions-orientierte Innovationspolitik
ZEW Lunch Debate in BrüsselZu einer Lunch Debate mit dem Titel „Beyond Horizon 2020: Translating Public Research into Innovation“ hatte das ZEW in die Landesvertretung von Baden-Württemberg in Brüssel eingeladen. Die Veranstaltung stieß aufgrund ihrer hohen Aktualität auf großen Zuspruch, wird doch derzeit die Ausgestaltung des nächsten, neunten EU-Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“ auf europäischer Ebene intensiv diskutiert.
Umso willkommener war für die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer die Gelegenheit, sich mit den von Dr. Georg Licht, dem Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“, eingeladenen Expertinnen und Experten über die künftigen Rahmenbedingungen der EU-Forschungsförderung auszutauschen und deren Einschätzung zu ganz spezifischen Fragestellungen kennenzulernen. Die Expertinnen und Experten der Lunch Debate waren neben Georg Licht: Diego Comin, Professor für Wirtschaftswissenschaften am Dartmouth College und Research Fellow am CEPR; Professorin Marja Makarow, PhD, Direktorin des Biocenter Finland und Vizepräsidentin der Universität Helsinki; Luc Soete, Honorarprofessor der Wirtschafswissenschaften an der Universität Maastricht und Fellow der Royal Dutch Academy of Sciences; Kurt Vandenberghe, Direktor in der Generaldirektion für Forschung und Innovation der EU-Kommission.
Den Auftakt der mittlerweile bereits zwanzigsten ZEW Lunch Debate in Brüssel bildete ein kurzes Impulsreferat von Georg Licht. Er machte deutlich, wie wichtig Innovationen für das Wachstum entwickelter Volkswirtschaften und die Erhaltung unseres Wohlstands sind und verwies auf die große Bedeutung die der möglichst schnellen Diffusion von neuem Wissen zukommt. So zeigten aktuelle Studien, dass die Schnelligkeit der Wissensdiffusion und der Adaption neuer Erkenntnisse, eng mit international zu beobachtenden Produktivitäts- und Wohlstandsunterschieden verknüpft seien. Genau an diesem Punkt, so Licht, setze das vom ZEW gemeinsam mit zahlreichen internationalen Partnern bearbeitete EU-Projekt FRAME (Framework for the Analysis of Research and Adoption Activities and their Macroeconomic Effects) an. Es untersucht sowohl die Effekte der Generierung von Innovationen als auch deren Diffusion. Ziel dabei ist die Entwicklung eines Instrumentariums zur zuverlässigen Bewertung der Auswirkungen von Innovationspolitik auf Schlüsselvariablen wie Produktivität, Produktion und Arbeitsplätze.
Mit Blick auf die von Seiten der EU geplante Ausgestaltung des neuen Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“, das im Jahr 2021 anlaufen soll, stellte Licht insbesondere darauf ab, dass es künftig auch eine gewisse Anzahl an EU-Projekten geben soll, die sich an Missionen orientieren, sich also auf für die EU besonders bedeutsame Zukunftsfelder konzentrieren. Daneben wird es aber weiterhin Projekte geben, die zwar nicht Missionen zum Gegenstand haben, allerdings den Nachweis erbringen müssen, dass sie zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der 2030-Agenda der Vereinten Nationen beitragen. Für alle Projekte gilt, dass ein möglichst großer und messbarer Impact generiert werden soll. Besonders gefördert werden sollen auch bahnbrechende neue Ideen und marktschaffende Innovationen sowie deren Diffusion.
Wie diese neuen Akzente in Horizon Europe zu bewerten seien, gab Licht als Frage an Diego Comin weiter und eröffnet damit die Paneldiskussion. Comin machte deutlich, dass man Innovation unbedingt in Verbindung mit deren kleinem Bruder, der Adaption sehen müsse, denn eine Innovation entfalte erst dann ihre volle Wirkung, wenn sie auf breiter Front zum Einsatz komme. Es sei daher sehr wichtig, so auch die Erkenntnisse aus dem FRAME-Projekt, einen Markt zu schaffen, der Innovatoren und diejenigen, die nach Innovationen suchten, zusammenbringe und so einen möglichsten schnellen Zugang zu neuen Technologien oder Verfahren zu eröffnen.
Der Prozess der Diffusion neuer Erkenntnisse ist denn auch für Luc Soete von zentraler Bedeutung. Man müsse neue Technologien sowie alternative Ideen und Lösungen einbeziehen, um zu guten Problemlösungen zu kommen. Dazu müsse man diese aber kennen. Und man müsse insbesondere öffentliche Güter auch bepreisen, denn woher sonst solle der Anreiz kommen, für die Umsetzung von Innovationen etwa bei der Luftreinhaltung oder der Verringerung der CO2-Emissionen. Allein das Vorhandensein technischer Neuerungen garantiere eben noch nicht, so Soete, dass diese auch zum Einsatz kämen und auf breiter Front diffundierten.
Dass die zügige Diffusion von Wissen aus der öffentlichen Forschung in Innovationen und neue Produkte ein Problem für Europa darstellt, räumt auch Kurt Vandenberghe ein. Wissenschaftler seien eben in der Regel sehr viel stärker an Forschung interessiert als an der Wissensdiffusion. Zudem gebe es in Europa ein Problem bei echten Durchbrüchen im High-Tech-Bereich. Daher ziele man durch eine missions-orientierte Ausgestaltung von Horizon Europa auf die Märkte der Zukunft. Dabei würden dann auch bei solchen an Missionen orientierten Projekten verschiedene Generaldirektionen beteiligt sein und auch nationale Ministerien sowie Endnutzer im Sinne eines Ko-Innovationskonzepts eingebunden werden.
Hier gab Marja Makarow zu bedenken, dass bei all diesen neuen Ansätzen nicht die zentralen Quellen von wissenschaftlicher Erkenntnis, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Universitäten, aus den Augen verloren werden dürfen. In Europa seien die Universitäten eben Teil der Verwaltung und dies schränke die Beweglichkeit von Wissenschaft deutlich ein. Zudem benötigten Universitäten die richtigen Anreize, um in Innovation zu investieren.
Zum Abschluss der Diskussion wertete Georg Licht die geplante stärkere Akzentuierung von Innovation und Diffusion in der EU-Forschungsförderung als guten Ansatz, gab aber zu bedenken, dass das Ganze nicht zu bürokratisch und kompliziert gestaltet werden sollte, denn sonst könnte ein Großteil der eigentlich angestrebten Breitenwirkung auf der Strecke bleiben.