Bildung und Wettbewerb tragen als Schlüsselfaktoren zur Lösung bei

Nachgefragt

Nachgefragt bei ZEW-Ökonom Friedhelm Pfeiffer

PD Dr. Friedhelm Pfeiffer zum Fachkräftemangel.

Die demografische Entwicklung wirkt sich zunehmend auf Unternehmen in Deutschland aus: Viele haben Stellen ausgeschrieben, häufig fehlt es aber an ausreichend qualifizierten Bewerbern. Dennoch gibt es genügend ungenutzte Potenziale für den Arbeitsmarkt, um dem Engpass entgegenzuwirken.

Im Interview skizziert PD Dr. Friedhelm Pfeiffer, kommissarischer Leiter des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“, Herausforderungen und Lösungsansätze des Fachkräftmangels.

Das Wort „Fachkräftemangel“ ist in aller Munde. Steckt die deutsche Wirtschaft bereits mittendrin?

Viele, vor allem auch innovative Unternehmen berichten über Schwierigkeiten bei der Suche nach Fachkräften. In Zeiten des Aufschwungs waren Fachkräfte in vielen Bereichen zunehmend schwerer zu finden. Seit August 2018 hat sich das Wirtschaftswachstum jedoch verlangsamt und in manchen Branchen, wie etwa der Automobilindustrie, wird bereits über die Einführung von Kurzarbeit gesprochen. Aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive sind Fachkräfte immer knapp. Die Höhe der zu zahlenden Arbeitsverdienste stellt einen wichtigen Indikator dieser Knappheit dar. Je höher die Löhne, desto knapper sind die Fachkräfte, die die Tätigkeiten durchführen können. In den letzten zehn Jahren sind die Löhne von hochqualifizierten Fachkräften, etwa Erwerbstätigen mit einem Meister- oder Hochschulabschluss, im Durchschnitt (etwas) stärker gestiegen als die Löhne der Erwerbstätigen mit einem Berufsabschluss. Diese Entwicklung der Arbeitsverdienste deutet auf eine gewisse Anspannung auf Arbeitsmärkten für besonders qualifizierte Fachkräfte hin. Löhne sind allerdings nicht nur ein Indikator der Knappheit. Sie transportieren auch Gerechtigkeitsvorstellungen und befördern auf diesem Weg die Arbeitsproduktivität. Die im Durchschnitt gezahlten Arbeitsverdienste für unterschiedlich stark gesuchte Fachkräftegruppen können daher innerhalb der Unternehmen nicht beliebig auseinanderdriften. Nicht zuletzt aus diesem Grund entwickeln sich die Arbeitsverdienste eher träge und passen sich nicht beliebig an kurzfristige Engpässe an. Mittelfristig spiegeln die Löhne jedoch auch Knappheitsverhältnisse und somit Karrierechancen wieder.

Welche Schlüsselqualifikationen brauchen Arbeitnehmer?

Die Digitalisierung schafft neue Kompetenzprofile, mit mehr analytischen Anforderungen, etwa wenn es darum geht, Roboter oder künstliche Intelligenzen zu programmieren. Dies birgt auch eine Chance für viele ältere Erwerbstätige, da Muskelarbeit im Vergleich zur Kopfarbeit weiter auf dem Rückzug ist. Daneben bleiben berufliche und fachbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten, auch soziale Kompetenzen, Gestaltungswillen, Durchsetzungsvermögen, Kreativität und Zuverlässigkeit weiterhin knapp und gefragt. Auch diese Kompetenzen werden erworben, entwickelt und gepflegt und auch künftig auf Arbeitsmärkten differentiell honoriert werden.

Was sollte das Bildungssystem tun?

Das Bildungssystem hat sich gewandelt und reagiert mit vielfältigen neuen Angeboten. Bildungseinrichtungen möchten Lernende auf eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit vorbereiten. Dabei gilt an Hochschulen der Leitsatz Freiheit für Forschung und Lehre. Das Prinzip der freien Studienwahl und Autonomie der Hochschulen, attraktive Studienfächer anzubieten, hat sich aus meiner Sicht im Großen und Ganzen bewährt. In jungen Jahren sollte vor allem Wert auf den Erwerb solcher Bildungsinhalte gelegt werden, die potenziell ein Berufsleben lang Erträge schaffen. Das sind nicht immer auch die Inhalte, die aktuell von Unternehmen nachgefragt werden. Hochschulen sind daher gut beraten, sich bei der Gestaltung ihrer Studienangebote nicht nur an kurzfristigen wirtschaftlichen Bedarfen zu orientieren. Anders ist es bei der Berufsausbildung. Hier können Unternehmen aktiv an Bildungsinhalten, die aus ihrer Sicht wichtig sind, mitwirken. Die Berufsschulen sollten sich ergänzend dem Erwerb von Kompetenzen, die ein ganzes Berufsleben halten, widmen.

Welches Potenzial hat Zuwanderung für die Behebung des Fachkräftemangels?

Deutschland ist seit Jahren nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Arbeitsverdienste ein begehrtes Ziel von Arbeitskräften aus dem Ausland. Dieser Trend wird erfahrungsgemäß so lange anhalten, wie genügend offene Stellen angeboten werden. Die Zuwanderung trägt insofern zur Milderung des Fachkräftemangels bei, etwa im Bau- und Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen und reduziert den Lohndruck.

Und was können Unternehmen noch zur Lösung beitragen?

Unternehmen können attraktive Arbeitskonditionen anbieten. Sie können etwa eine lebenswerte Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch reduzierte und flexible Arbeitszeiten ermöglichen und bei der Festlegung der Arbeitsverdienste auch Gerechtigkeitsvorstellungen berücksichtigen. Sie können in ihren Unternehmen ein attraktives Umfeld schaffen, das angemessene soziale Interaktion und Selbstbestimmung schafft, auch für ältere Erwerbstätige. Ferner können sie in der dualen Berufsausbildung an der Gestaltung neuer Berufe mitwirken. Von erheblicher Bedeutung für die Wirtschaft ist es zudem, zuverlässige Informationen für die besonders gesuchten Kompetenzprofile bereitzustellen, damit Arbeitsuchende und junge Menschen in Bildungseinrichtungen die Chance erhalten, sich über diese Kompetenzprofile und die damit verbundenen Karrierechancen fundiert zu informieren.       

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