Fast jede andere weit verbreitete App sammelt sensiblere Nutzerdaten

Nachgefragt

Nachgefragt bei Dr. Dominik Rehse

Die App lässt keine Datenschutzbedenken offen, ist jedoch mangelhaft in der Erfolgsmessung. Hierzu äußert sich Dr. Dominik Rehse im Interview.

Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts wurde die deutsche Corona-Warn-App etwas mehr als 18 Millionen Mal heruntergeladen. Angesichts steigender Infektionszahlen besteht die Hoffnung, dass die App in der nun anbrechenden kalten Jahreszeit die Nachverfolgung von Infektionsketten vereinfachen und damit zur Eindämmung von COVID-19-Ausbrüchen beitragen wird.

Im Interview spricht Dr. Dominik Rehse, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe „Design digitaler Märkte“ darüber, wie die App bisher angelaufen ist und was es braucht, um sie wirksam zum Infektionsschutz einzusetzen.

Wie kann eine App Leben retten?

Die Corona-Warn-App soll die Nachverfolgung von Infektionswegen beschleunigen. Werden Nutzer positiv auf SARS-CoV-2 getestet, so können sie dies in der App vermerken. Am Folgetag werden dann andere App-Nutzer, die in den vergangenen zwei Wochen über längere Zeit in gefährlicher Nähe zu diesen Infizierten waren, über einen sogenannten „Risikokontakt“ informiert. Verantwortungsbewusste Nutzer sollten sich daraufhin selber isolieren und auf eine Infektion testen lassen. So können Infektionsketten unterbrochen und möglicherweise auch Leben gerettet werden.

Ist die deutsche Corona-Warn-App ein Erfolg?

Leider startete die App erst Mitte Juni und damit zu spät, um bei der Bewältigung der ersten Infektionswelle eine Rolle zu spielen. Eine größere Bedeutung könnte sie bei einem Anstieg der Infektionstätigkeit in Herbst und Winter haben. Entscheidend wird in jedem Fall eine weite Verbreitung sein. Die Zahl an Installationen der App stieg anfänglich zwar schnell, hat sich seither jedoch stark verlangsamt. Darüber hinaus kann man
jedoch nicht viel über den Erfolg sagen.

Warum ist das so schwierig?

Die App wurde nahezu ausschließlich darauf ausgerichtet, dass sie Datenschutzbedenken Rechnung trägt. Das hat leider negative Konsequenzen für die Erfolgsmessung. So lässt sich beispielsweise nicht präzise bestimmen, wie viele Nutzer eine Infektion in der App auch tatsächlich vermerkt haben und wie viele Risikokontakte sich daraufhin testen ließen. Es ist auch nicht überprüfbar, wie zuverlässig die Einstufung als Risikokontakt ist. Letzteres ist besonders bedauerlich, da die für die Distanzmessung eingesetzte Bluetooth-Technik nicht für diesen Zweck entwickelt wurde und die Verlässlichkeit daher nur unter Laborbedingungen getestet werden konnte. Nachbesserungen sind aufgrund der fehlenden Daten aus der alltäglichen Verwendung der App nur begrenzt möglich.

Wie kam es dazu?

Die öffentliche Debatte zur Entwicklung und zum Start der Corona-Warn-App wurde von Datenschutzaspekten dominiert. Beteiligte politische Entscheidungsträger wurden augenscheinlich davon bei der Funktionsgestaltung der App geleitet. Das Ergebnis ist eine App, die gesetzliche Datenschutzanforderungen wesentlich übertreffen dürfte. Fast jede andere weit verbreitete App sammelt sensiblere Nutzerdaten, und das meist im Einklang mit den geltenden Datenschutzbestimmungen. Neben Datenschutzaspekten scheinen kaum andere Erwägungen Eingang in die Ausgestaltung der App gefunden zu haben. Dazu hätte zum Beispiel die erfolgreiche Einbindung der Gesundheitsämter gezählt, die ja eigentlich für die Kontaktnachverfolgung und die Unterbrechung von Infektionsketten zuständig sind und ohnehin über jeden positiven Test informiert werden.

Wie kann es gelingen, dass mehr Menschen die App nutzen?

Bisher beschränkte sich die Verbreitungsstrategie auf Werbung über klassische Kanäle und durch meinungsprägende Organisationen wie Fußballverbände. Die rückläufige Zahl der Neuinstallationen zeigt jedoch, dass diese Strategie Grenzen hat. Eine sinnvolle Ergänzung könnte zum Beispiel sein, wenn die Corona-Warn-App bei neuen Mobiltelefonen automatisch installiert wäre oder es konkrete Vorteile für die Anwerbung weiterer Nutzer gäbe. Persönliche Vorteile sollten natürlich nicht den Gemeinsinn verdrängen. Wenn die App jedoch eine wirklich weite Verbreitung finden soll, dann werden ergänzende Ansätze systematisch getestet werden müssen.

Weiterhin sollte auch die Möglichkeit der Einführung digitaler Schlüsselanhänger in Betracht gezogen werden, die ausschließlich die Corona-Warn-App installiert haben. Diese könnten den Bürgern bereitgestellt werden, die kein zeitgemäßes Handy haben und die App ansonsten nicht nutzen könnten.

Neben der Steigerung der Zahl der Installationen sollte jedoch auch die Nutzung selber optimiert werden. So beschweren sich Nutzer regelmäßig über missverständliche Meldungen. Das ist überraschend, da an anderen Stellen des Gesundheitssystems viel Mühe in wirkungsvolle Risikoaufklärung und -kommunikation gesteckt wird. Hier besteht Nachbesserungsbedarf um keine aktiven Nutzer zu verlieren.

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