„Man nimmt die Erkenntnis aus der Wissenschaft und trägt sie in die Praxis“

ZEWnews-Artikel

Nachgefragt bei ZEW-Ökonom Vitali Gretschko

Prof. Dr. Vitali Gretschko über seinen Arbeitsbereich und die möglichen Potentiale für die Bewältigung der Coronakrise im Bereich der Medizin.

Märkte fallen nicht vom Himmel, sondern werden von Menschen geschaffen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Wie gut ein Markt dafür geeignet ist, hängt ganz entscheidend von den Regeln ab, die auf ihm gelten. Marktdesign widmet sich der Analyse und Optimierung von Märkten durch die Gestaltung dieser Regeln.

Im Interview spricht ZEW-Ökonom Prof. Dr. Vitali Gretschko über verschiedene Anwendungsgebiete von Marktdesign.

Worum geht es bei Marktdesign?

Wir schauen uns Märkte an und überlegen, welche Regeln und welche Rahmenbedingungen dazu führen, dass diese ­Märkte besonders gut funktionieren. Der Marktdesigner beweist nicht allgemeine Theoreme, die auf allen Märkten gelten, sondern er schaut sich einen spezifischen Markt an und beschreibt für diesen Markt die optimalen Regeln, testet sie und hilft eventuell bei der Implementierung dieser Regeln. Das heißt auch, man trifft eine spezifische Aussage, wie dieser Markt verbessert werden kann. Und das bedeutet insbesondere, sich mit den feinen Details des Marktes auseinanderzusetzen. Man nimmt die Erkenntnis aus der Wissenschaft und trägt sie in die Praxis. Man scheut sich nicht davor, auf die Praktiker zuzugehen, mit ihnen zusammenarbeiten und voneinander lernen zu wollen.

Welchen Beitrag kann Marktdesign zur Bewältigung der Corona-Krise leisten?

Am Anfang der Corona-Krise hat es an medizinischen ­Gütern gefehlt, da die Vorräte nicht für den Krisenmodus gemacht sind. Krankenhäuser konnten auf einmal ihre Nachfrage nicht mehr decken. Wie kann Markdesign da helfen? Die Markt­designer Axel Ockenfels, Robert Wilson und Peter Cramton haben einen Vorschlag erarbeitet, wie man mit diesem Problem umgehen kann – in Form einer zentralisierten Clearingstelle für medizinische Produkte. Diese Stelle sammelt zunächst Daten, um anzuzeigen, welches Krankenhaus aktuell welche medizinischen Produkte zu Verfügung hat. Die Clearingstelle könnte potenziell auch medizinische Güter von den Herstellern einkaufen. Dann würde sich die Frage stellen, wie mit diesen Informationen, die gekauften Güter auf Krankenhäuser verteilt werden. Zunächst muss allerdings verstanden werden, wo die Güter am meisten gebraucht werden. Ein Beispiel: Angenommen es kommt zu einem Ausbruch in Hamburg und gleichzeitig zu keinem Ausbruch in München, dann wäre es sinnvoll, medizinische Güter von München nach Hamburg zu transferieren. Der Vorschlag ist, einen fiktiven Markt aufzusetzen. Hier würde man eine medizinische Währung entwickeln, von der jedes Krankenhaus eine Grundausstattung bekommen würde. Mit dieser könnten Krankenhäuser über die zentrale Clearingstelle Güter kaufen. Das Krankenhaus in Hamburg könnte dann für diese medi­zinische Währung in München etwa Beatmungsgeräte kaufen.

Was wäre ein weiteres Beispiel für einen konkreten Markt?

Ein Beispiel ist die Zuteilung von Kindergartenplätzen. Auf den ersten Blick fragt man sich: Ist das überhaupt ein Markt? Bei Kindergartenplätzen handelt es sich um ein knappes Gut mit zwei Seiten, die wir zueinander bringen: Auf der einen Seite die Träger der Kindergärten und auf der anderen Seite die Eltern. Diese Plätze sollen möglichst effizient verteilt werden und die Wunschplätze von Eltern berücksichtigen. Also kann man das durchaus als Markt sehen, auch wenn es keinen Preis im engeren Sinne gibt. Wir arbeiten mit einigen Kreisen und Jugendämtern zusammen, um Regeln für eine zentralisierte Vergabe zu finden. Dafür geben Eltern eine Liste mit Präferenzen ab. Die Träger und die öffentlichen Kindergärten haben eine Prioritätenliste mit Kriterien, nach denen Kinder eine Priorität an einem bestimmten Kindergarten bekommen. Mit diesen Listen wird ein Algorithmus für eine Zuteilung entwickelt. Diese Art der Zuteilung ist stabil, das bedeutet, es gibt keine Möglichkeit, diese Zuteilung so zu verbessern, dass beide Marktseiten zufrieden sind. Die zweite Eigenschaft ist Strategiesicherheit. Für Eltern gibt es keinen Anreiz, die Präferenzliste strategisch auszufüllen. Der Algorithmus führt immer dazu, dass der bestmögliche Kindergarten gefunden wird, wenn Präferenzen wahrheitsgemäß angegeben werden.

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