„Die Krise kann auch als Katalysator für den Übergang zu neuen Technologien dienen“
VeranstaltungsreihenDie Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) überreichte ihr Jahresgutachten im Februar 2021 virtuell an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. In der Vortragsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ diskutierten jetzt Prof. Dr. Irene Bertschek, Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“ und EFI-Mitglied, und Rafael Laguna de la Vera, Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIN-D), am 23. März 2021, über das EFI-Gutachten sowie über die Möglichkeiten, disruptive Innovationen in Deutschland besser zu fördern. Die Veranstaltung wurde vom ZEW-Förderkreis Wissenschaft und Praxis e.V. unterstützt und fand im Rahmen des SEEK-Forschungsprogramms statt.
In einem Impulsreferat zu Beginn der Veranstaltung ging Bertschek auf zentrale Inhalte des aktuellen EFI-Gutachtens ein. Ein Schwerpunkt des Gutachtens befasst sich mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf Forschung und Innovation (F&I) in Deutschland. „Für den Großteil der deutschen Unternehmen hat die Corona-Krise negative Auswirkungen auf ihre Innovationsaktivitäten: Rund 32 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft und 45 Prozent der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe verzögerten aufgrund der Pandemie Innovationsprojekte“, erklärte Bertschek. Projekte würden zwar nur selten komplett abgebrochen (11 Prozent in der Informationswirtschaft und 17 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe), dennoch berichteten 24 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft und 38 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe, dass sie Projekte gar nicht erst in Angriff genommen hätten.
Als Gründe für die Beeinträchtigung nannten Unternehmen die geringere Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen, eine nachlassende Nachfrage nach innovativen Produkten und Diensten sowie Lieferschwierigkeiten bei für Innovationen wichtigen Materialien und Vorleistungen. Außerdem wurden die Unternehmen nach ihrer Bewertung des Zukunftspakets der Bundesregierung für die Innovationstätigkeit befragt. Dieses sieht hohe Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation vor. Über 60 Prozent der Unternehmen aus der Informationswirtschaft und über die Hälfte der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe bezeichneten den Ausbau der 5-G- und Glasfasernetze als besonders bedeutend für Innovationsprojekte. Zuspruch fanden auch die Erhöhung der Forschungszulage sowie Investments in künstliche Intelligenz. „Die Sofortmaßnahmen und Konjunkturprogramme der Bundesregierung setzen wichtige Impulse und kommen auch dem F&I-System zugute. Wir als Expertenkommission mahnen jedoch die rasche Auszahlung der Fördermittel an“, erklärte Bertschek den rund 160 Zuschauerinnen und Zuschauern des Livestreams. Mit Blick auf die Corona-Krise meint Bertschek, diese könne auch als Katalysator für den Übergang zu neuen Technologien dienen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessern. Künftige wachstumspolitische Maßnahmen, so das EFI-Mitglied, sollten so F&I-orientiert wie möglich aufgesetzt werden.
Deutschland hinkt bei der Umsetzung von Innovationen in Anwendungen hinterher
Weitere zentrale Themen des EFI-Gutachtens waren die neue Missionsorientierung und Agilität in der F&I-Politik, die Anpassung der beruflichen Aus- und Weiterbildung an die digitale Transformation sowie die Gen-Editierung mit der CRISPR/Cas-Methode. Letztere ermöglicht neue Impulse in der Grundlagenforschung und Therapieansätze für viele Krankheiten. „Obwohl Deutschland auf diesem Gebiet bei der Forschung gut aufgestellt ist, gibt es Schwächen bei der Translation von wissenschaftlichen Erkenntnissen in deren Anwendung. Das ist auch bei anderen Technologien und Innovationen in Deutschland so“, sagt Bertschek. Hemmnisse, die einer zügigen Umsetzung von Innovationen in die praktische Anwendung entgegenstünden, seien in vielen Fällen komplexe Antrags- und Genehmigungsverfahren sowie hohe administrative Hürden für Forschung und klinische Studien. Außerdem mangele es in Deutschland an Wagnis- und Wachstumskapital für hoch-innovative Unternehmen, so ein Fazit des EFI-Gutachtens.
Im letzten Teil ihres Vortrags stellte Bertschek die Empfehlungen der EFI für eine zukunftsfähige F&I-Politik dar. Die EFI empfiehlt, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie etwa den demografischen Wandel oder den Klimaschutz anzugehen und technologische Rückstände aufzuholen, etwa bei der Digitalisierung. Daneben sollten die Fachkräftebasis gesichert, die Innovationsbeteiligung vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen erhöht und die Agilität der F&I-Politik gesteigert werden.
SPRIN-D fördert gezielt Sprunginnovationen
Aus einer Initiative der EFI ging im Jahr 2019 SPRIN-D hervor, die Bundesagentur für Sprunginnovationen. Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera erklärte im Gespräch mit Irene Bertschek, wo die Anfänge und Aufgaben der Bundesagentur liegen. „SPRIN-D versucht „High Potentials“ in Forschungseinrichtungen, Universitäten und der Wirtschaft ausfindig zu machen. Diese sogenannten „Hipos“ unterstützt die Agentur dann vor, während und nach der Gründung eines Unternehmens. Wir stellen Teams zusammen, die das Potenzial mitbringen, Sprunginnovationen zu entwickeln und zu verwirklichen – also Produkte, Dienstleistungen und Systeme, die unser aller Leben spürbar und nachhaltig besser machen“, sagte Laguna de la Vera. Die Agentur begleite und fördere derartige Projekte. Nach zwei bis vier Jahren wisse man dann in aller Regel, ob ein Projekt erfolgversprechend sei oder nicht. Wenn nicht, werde die Förderung eingestellt.
„Welche Sprungprojekte werden durch SPRIN-D gefördert?“, wollte Bertschek wissen. Aktionsfelder für Projekte von SPRIN-D seien die Bekämpfung von Alzheimer, Analogcomputer, Künstliche Intelligenz, Sovereign Cloud Stack, ein Projekt innerhalb von GAIA-X, aber auch Innovationen in den Bereichen Life Sciences, Umwelttechnologien und Nachhaltigkeit, so Laguna de la Vera und fügte hinzu „Bei Sprunginnovationen kommt es oft auch zu einer Zusammenführung von verschiedenen Einzelinnovationen. Wir versuchen Menschen aus unseren Netzwerken zusammenzubringen und am Ende sollen daraus Wirtschaftsunternehmen auf Grundlage umwälzender Innovationen entstehen.“ Weitere Diskussionsthemen waren die verschiedenen Förderinstrumente von SPRIN-D, politische Entscheidungen im Innovationsbereich für die kommende Legislaturperiode, ein fehlender funktionierender Finanzierungskreislauf für hoch-innovative Unternehmen in Europa sowie die Frage, ob wir in Deutschland ein Digitalministerium brauchen.