„Digital Health“ – Digitalisierung der Medizin benötigt exzellente Forschung vor Ort
VeranstaltungenWirtschaftspolitik aus Erster Hand
Die Digitalisierung hat auch die Gesundheitsbranche ergriffen und medizinische Innovationen werden zunehmend datengetrieben sein. Bei der Früherkennung von Epidemien sowie in der Entwicklung individueller Behandlungsstrategien spielt die Nutzung und Vernetzung von Patientendaten eine immer größere Rolle. Darin liegen Chancen und Herausforderungen sowohl für Patienten/-innen als auch für das staatliche Gesundheitssystem und den Wirtschaftsstandort Deutschland. Doch warum ist Deutschland bei der Gesundheitsdatennutzung so rückständig? Wie können die Potenziale besser ausgeschöpft und die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden? Zu diesen Fragen diskutierten ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und der Gesundheitsexperte und Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg Johannes Bauernfeind am 1. Juni in Stuttgart im Forum der BW-Bank. Die gemeinsam vom ZEW Mannheim und vom Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) ausgerichtete Podiumsdiskussion wurde von Anne Guhlich und Joachim Dorfs aus der Chefredaktion der Stuttgarter Zeitung moderiert.
„Die Corona-Pandemie hat große Defizite in der digitalen Transformation des deutschen Gesundheitswesens aufgezeigt, die es rasch und konsequent abzubauen gilt“, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach zum Auftakt der Veranstaltung. So stehe das deutsche Gesundheitssystem insbesondere im Bereich Informationsaustausch im inländischen und internationalen Vergleich schlecht da. Medizinischer Fortschritt hänge entscheidend davon ab, den Datenschutz auf Bundes- und europäischer Ebene effektiver zu gestalten, den Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland zu beschleunigen, Innovationen zu fördern und die Akzeptanz in der Gesellschaft zu steigern. Der Gesundheitsstandort Deutschland stehe vor großen Herausforderungen, die nur durch exzellente Forschung und wirtschaftliche Innovationskraft bewältigt werden könnten.
Modernisierung des Gesundheitswesens erfordert Abbau vieler Hürden
Wambach begrüßte das Bestreben, gesundheitsökonomische Forschung stärker regional und national zu verankern, weil wissenschaftliche Impulse ihren Weg in die wirtschaftliche Praxis finden müssten. Es erfordere digitale Plattformen, die den Bestimmungen des Datenschutzes und der Datensicherheit gerecht werden. Die Bereitstellung von Datensilos aus öffentlicher Hand könne Vertrauen in unserer Gesellschaft schaffen und die Sorgen vor einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens abbauen. So sei die zentralisierte Erfassung anonymisierter Daten im Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit, das ab 2023 eine ganzheitliche Forschung zur Gesundheitsversorgung ermöglichen solle, ein Meilenstein für eine Datenkooperation über Sektoren- und Kassengrenzen hinweg. Auch trage das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg zentral dazu bei, die Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern und Innovationen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung zu fördern. Das ZEW Mannheim trägt mit der Anfang 2021 neu gegründeten und staatlich geförderten Forschungsgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ zum Forum bei.
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer sprach sich im Rahmen der Diskussion für eine Stärkung des Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg aus. Dabei sei es von zentraler Bedeutung, bürokratische und juristische Hürden abzubauen, den Auf- und Ausbau der technischen Infrastruktur voranzutreiben und einen standardisierten Umgang mit Daten zu etablieren. Regional verankerte wissenschaftliche Expertise könne nach föderalistischem Prinzip Einfluss auf nationale und europäische Gesetzgebungsverfahren nehmen und man dürfe dabei auch keine Scheu davor haben, manche althergebrachten ethischen Grundsätze auf den Prüfstand zu stellen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens erfordere neben der Finanzierung aus öffentlicher Hand auch wirtschaftliche Innovationskraft.
Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg Johannes Bauernfeind beklagte, dass Informationen bereits vorlägen, nur nicht richtig genutzt würden. Er plädierte dafür, die hiesige Forschung im Bereich Digital Health und Data Science auszubauen, um personalisierte Behandlungsmöglichkeiten und differenzierte Therapien für Patienten/-innen noch zu verbessern. Die elektronische Patientenakte ermögliche es, dass Versicherte über die Verwendung der persönlichen Daten verfügen könnten.