Lützerath zeigt das Dilemma der deutschen Klimapolitik
StandpunktUm den Kohleabbau zu verhindern, hatten Klimaaktivisten die Ortschaft Lützerath besetzt. Scientists for Future forderten in einem offenen Brief ein Moratorium für den Kohleabbau, da Lützerath ein Symbol geworden sei: Es gehe „um ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter.“ Aber die Frage des „ob“ der Klimapolitik ist längst beantwortet - es geht um das „wie“. Und da legt Lützerath das Dilemma der deutschen Klimapolitik offen.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck begründete die Räumung mit der Notwendigkeit der Krisenpolitik – als ein Baustein zur Versorgungssicherheit in diesem Jahr und im nächsten Winter. In seinen Ausführungen vor kurzem im heute journal (ZDF) ging er auch indirekt auf das Dilemma der deutschen Klimapolitik ein: „Die Argumentation, … der Zertifikatehandel sorgt dafür, dass es [die Kohleverstromung] unattraktiv wird, ist eine erstaunliche Argumentation, denn sie würde ja ... bedeuten, dass wir gar nicht mehr über Daten von Kohleausstieg reden müssen.“
Genau das ist jedoch auf europäischer Ebene der Punkt: Der europäische Emissionshandel, der im Rahmen des European Green Deals weiter verschärft werden soll, sorgt mit seiner „cap and trade“- Logik dafür, dass ein Mehrverbrauch an Kohle in Deutschland heute zu einer Minderung der Emissionen an anderer Stelle oder zu einem anderen Zeitpunkt führt. Automatisch. Unternehmen aus den Sektoren Stromerzeugung, Industrie und innereuropäischer Flugverkehr müssen für die von ihnen verursachte CO2-Verschmutzung Zertifikate erwerben. Die Anzahl der Zertifikate ist bis 2030 gedeckelt. Wenn Unternehmen aus diesen Sektoren nun mehr Zertifikate benötigen, werden sie diese zusätzlich kaufen müssen. Die Zertifikate stehen dann den anderen Unternehmen nicht mehr zur Verfügung. Die europäischen CO2-Emissionen ändern sich dadurch nicht; und auch nicht, wenn die Kohle unter Lützerath nun verstromt wird oder nicht.
Das Bild ändert sich allerdings, wenn man die rein deutsche Perspektive einnimmt. Für die Erreichung der deutschen Klimaziele spielt es eine Rolle, wieviel Kohle in Deutschland verbrannt wird. Verzicht auf die Kohle unter Lützerath würde zu diesen Zielen einen Beitrag leisten. Dieser Gegensatz zwischen der deutschen und der europäischen Perspektive zeigt sich auch am Kohleausstiegsdatum, auf das sich Habeck bezieht.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2020 haben Bund und Länder den Kohleausstieg in Deutschland bis spätestens 2038 beschlossen, ein frühzeitigerer Ausstieg wird angestrebt, idealerweise bis 2030. Gleichzeitig einigten sie sich auf Hilfen in Höhe von 40 Mrd. Euro für die Kohleregionen und Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber im Umfang von gut 4,35 Mrd. Euro. Aus regionalökonomischer Sicht eine nachvollziehbare Maßnahme: Die Kohleregionen sind besonders von der Energiewende betroffen und müssen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Aus klimapolitischer Sicht ist es mit einer Bewertung des Kohleausstiegsabkommens nicht so eindeutig: Da der Strom aus Kohle Teil des europäischen Zertifikatehandels ist, gilt hier einmal mehr, dass ein Kohleausstieg den Bedarf an Zertifikaten in Deutschland verringert, die dann an anderer Stelle genutzt werden. Die Gesamtemissionen in Europa gehen nicht zurück. Wohl aber die in Deutschland.
Das bedeutet nicht, dass die europäische Klimapolitik – ohne expliziten Kohleausstieg – zu einer Perpetuierung der Kohleverstromung führen würde - ganz im Gegenteil. Der Emissionshandel macht die Verstromung von Kohle teurer, und vor dem Krieg in der Ukraine war davon auszugehen, dass mit den derzeitigen CO2-Preisen die Stromerzeugung aus Kohle bis 2030 unrentabel wird. Jetzt ist Gas teurer geworden und wird durch den vermehrten Bezug von Flüssiggas auch teurer bleiben. Ein marktwirtschaftlicher Ausstieg aus der Kohle bis 2030 wird dadurch unwahrscheinlicher.
Das Dilemma der deutschen Klimapolitik zeigt sich in dieser Fokussierung auf die deutschen Ziele. Die EU hat mit dem Emissionshandel ein Instrument bereitgestellt, mit dem die europäischen Emissionsziele auf marktwirtschaftlichem Weg erreicht werden. Und dabei ist sie auf einem guten Weg, was die bisherigen Einsparungen und die Simulationen für zukünftige Einsparungen in den betroffenen Sektoren zeigen. Die EU will jetzt einen zweiten Zertifikatehandel für die weiteren Sektoren Gebäude und Verkehr einrichten, also in den Bereichen, in denen bislang sehr wenig geschehen ist. Gut so. In Deutschland gibt es dazu bereits einen eigenen Zertifikatehandel, der langsam hochläuft. Deutschland hat aber auch eigene Emissionsziele. Insofern diese über die durch den europäischen Emissionshandel zu erreichenden Ergebnisse hinausgehen, wird dies mit gesonderten Vereinbarungen und Auflagen einhergehen.
Was die Frage betrifft, ob und wie das 1,5 bis 2 Grad Ziel erreicht wird, ist selbst die europäische Perspektive zu eng. Die EU trägt nur zu 10% zu weltweiten Emissionen bei. Europäische klimapolitische Maßnahmen können aber eine Vorbildfunktion haben, wenn diese vom Rest der Welt übernommen werden. So ist der Emissionshandel mittlerweile von einigen Ländern kopiert worden. Auch die technologischen Fortschritte, die im Bereich der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bereits beeindruckend zu sehen sind, leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Insofern Maßnahmen in Europa diesen Fortschritt beschleunigen, helfen sie auch den Ländern außerhalb Europas, Emissionen zu reduzieren.
Die Auseinandersetzung um Lützerath zeigt, dass mehr europäisches und globales Denken gut tun würde.