Zuordnung der Staatsausgaben beeinflusst Maß für Ungleichheit
ForschungZEW-Studie zeigt, dass Piketty-Studie das Niveau der Ungleichheit zu hoch ansetzt
Wie gleichmäßig verteilt ein Staat seine Ausgaben auf die Bürger/innen? Um dieser Frage nachzugehen, müssen nicht nur direkte staatliche Staatsausgaben wie Sozialtransfers oder Kindergeld betrachtet werden, sondern auch Sachleistungen wie etwa öffentliche Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und Verteidigung. Das ZEW Mannheim zeigt, dass das Ausmaß der Ungleichheit nach Steuern und Transfers stark von der Verteilung dieser Ausgaben abhängt und dass die berühmte Studie von Piketty und Ko-Autoren das Niveau der Ungleichheit überzeichnet.
Die Frage nach der (Un-)Gleichheit der Einkommensverteilung in einem Land beschäftigt Politik und Ökonomie gleichermaßen. Im Jahr 2018 veröffentlichten die Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman ein vielbeachtetes Papier, in dem sie eine Methode vorstellten, anhand derer sie die Verteilung des US-amerikanischen Volkseinkommens auf die einzelnen Einwohner/innen messen konnten. Sie erstellten verteilungsbezogene volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, die Einkommensmaße aus Steuer- und Umfragedaten mit den in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung veröffentlichten Beträgen in Einklang brachten. So untersuchten sie die Einkommensungleichheit vor und nach Steuern in den Vereinigten Staaten für die Jahre 1913 bis 2014 und dokumentierten einen massiven Anstieg beider Arten der Ungleichheit seit 1980.
Proportionale Umlegung von Staatsausgaben überzeichnet Ungleichheit
„Dass die Ungleichheit der US-Einkommensverteilung zugenommen hat, steht außer Zweifel. Jedoch hängen die Ergebnisse der Piketty-Studie zum Niveau der Ungleichheit nach Steuern sehr stark von den Annahmen ab, die die Autoren zur Verteilung der staatlichen Ausgaben treffen. Und hier muss man sehen, dass Piketty et al. das Niveau der (Nach-Steuer-, Nach-Transfer-)Ungleichheit durch ihre Methode überzeichnen.“, sagt Prof. Dr. Holger Stichnoth, Leiter der Forschungsgruppe „Ungleichheit und Verteilungspolitik“ am ZEW. Denn: Um zu berechnen, wie gleichmäßig ein Staat seine Ausgaben auf die Einwohner/innen verteilt, müssen die gesamten Staatsausgaben auf die einzelnen Personen umgelegt werden – also auch Sachleistungen wie öffentliche Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und Verteidigung. Piketty und seine Ko-Autoren gehen in ihrer Studie davon aus, dass diese Sachausgaben proportional zum jeweiligen Geldeinkommen auf die einzelnen US-amerikanischen Einwohner/innen entfallen. „Mit dieser Annahme erhalten die ärmsten 50 Prozent im Schnitt nur 4.000 Dollar pro Jahr an öffentlichen Sachleistungen, die Reichsten der Reichen – die deutlich seltener Bus fahren oder ihre Kinder in öffentliche Schulen schicken – hingegen mehrere Millionen“, kritisiert Stichnoth.
Pauschalisierter Ansatz realistischer
Die ZEW-Studie von Holger Stichnoth und seinem Kollegen Lukas Riedel legt hingegen nahe, dass eine pauschale Aufteilung, bei der alle Personen denselben Betrag an Sachleistungen erhalten, realistischer ist. „Werden die Ausgaben pauschaliert, verringert sich für das Jahr 2014 in den USA der Abstand der Einkommensanteile nach Steuern zwischen den einkommensstärksten 10 Prozent und den einkommensschwächsten 50 Prozent der Bürger/innen um die Hälfte gegenüber der Piketty-Studie“, so Stichnoth. Auch mit dieser Methode hat die Ungleichheit der US-Einkommensverteilung zugenommen – allerdings auf einem niedrigeren Niveau. Die ZEW-Studie basiert auf Daten des American Community Survey 2017 und der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) herausgegebenen Berichte „Education at a Glance“.