Industriestrompreis: Brücke ins Nirgendwo

Standpunkt

Standpunkt des ZEW-Präsidenten Achim Wambach und Axel Ockenfels, Professor an der Universität zu Köln

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD und Prof. Dr. Axel Ockenfels von der Universität zu Köln äußern sich in ihrem Standpunkt zu Strommarkt, Stromversorgung und Energiekrise.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz plant die Einführung eines Industriestrompreises als „mittelfristigen Brückenstrompreis“, bis die Energiewende ausreichend vorangeschritten ist. Es wird befürchtet, dass ohne diese Maßnahme eine Deindustrialisierung droht. Dahinter steht die Annahme, dass ein zukünftiges erneuerbares Stromsystem kostengünstiger sein wird. Auf dieser Basis geht das Wirtschaftsministerium davon aus, dass der Industriestrompreis spätestens 2030 nicht mehr nötig sein wird.

Die Sorge des Ministeriums ist verständlich, die Prämisse erscheint jedoch fraglich. Jede Kilowattstunde Solar- und Windstrom kann zwar bei sehr geringen variablen Kosten Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken ersetzen, aber das Problem der kostengünstigen Energie-Speicherung für Zeiten, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, bleibt ungelöst. Solange es keine deutlichen Innovationssprünge bei Speicher- und anderen Technologien gibt, ist Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben.

Dies kann man zum Beispiel an den vollkommen unzureichenden freiwilligen Selbstverpflichtungen der Staatengemeinschaft und an den globalen CO2-Emissionen ablesen, die auch nach dem Pariser Abkommen weiter ansteigen, mit jährlich neuen Rekordwerten – nur unterbrochen von einer kurzen Covid-19-Delle. Die bisherige deutsche Entwicklung gibt auch wenig Anlass zu Optimismus. Seit mehr als 20 Jahren verbindet sich mit der Energiewende die Hoffnung, sie würde zu sinkenden Strompreisen und Wettbewerbsvorteilen führen. Heute hat Deutschland jedoch mit die höchsten Strompreise der Welt.

Auch langfristig, wenn Ökostrom zuverlässig und kostengünstig produziert werden kann, ist nicht zu erwarten, dass Deutschland Kostenvorteile haben wird. Deutschland gehört weder zu den sonnen- noch zu den windreichsten Ländern. Simulationen zur Energieversorgung in Deutschland prognostizieren, dass grüner Wasserstoff langfristig aus anderen Ländern importiert werden muss. Die Bundesregierung hat schon ihre Wasserstoffdiplomatie gestartet, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Der Strom in diesen Ländern wird günstiger sein, und ein Teil der Wertschöpfung wird sich wohl dorthin verlagern.

Schon heute ist zu beobachten, wie wegen der höheren Energiepreise Industrieproduktion mit geringer Wertschöpfung ins Ausland abwandert. Das muss noch nicht beunruhigen. Die industrielle Stärke Deutschlands, etwa in der Chemie, im Maschinenbau oder im Automobilbau, beruht nicht darauf, dass Deutschland die günstigsten Vorleistungskosten hat. Wer mit dem Brückenstrompreis eine Brücke bauen möchte, sollte aber wissen, wohin.

Die Diskussion um einen Industriestrompreis zeigt damit eine grundsätzliche Problematik der Klimapolitik auf. Das Wirtschaftsministerium weist zu Recht darauf hin, dass die energieintensive Industrie, die im „harten internationalen Wettbewerb“ steht, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren droht. Dahinter steckt aber auch, dass viele Länder in der Klimapolitik Trittbrettfahrer sind. Nationale CO2-Vermeidung kann ohne eine international abgestimmte Klimapolitik sogar die Anreize für andere Länder zum Mitmachen verringern.

Hohe Belastungen der Industrie in Deutschland bedeuten ja auf der anderen Seite Chancen der Industrialisierung in anderen Ländern, die weniger ambitionierte Ziele verfolgen. Und eingespartes Öl und Gas in Deutschland dürfte die Weltmarktpreise reduzieren und dadurch den Verbrauch der Klima-Egoisten günstiger machen. Letzteres könnte auch nicht der europäische CO2-Grenzausgleich verhindern, der als Instrument zur Verhinderung der Abwanderung der Industrie aus klimapolitischen Gründen geplant ist.

Die gute Nachricht ist: Es gibt keinen fundamentalen Konflikt zwischen Wettbewerbsfähigkeit und wirksamem Klimaschutz. Die dramatische Entwicklung der globalen CO2-Emissionen und die Sorge um den drohenden Verlust deutscher Wettbewerbsfähigkeit haben dieselbe Ursache: Mangelnde internationale Kooperation. Es gibt zwei Möglichkeiten, andere Länder zum Mitmachen zu bewegen: Erstens durch eine internationale Kooperationsvereinbarung, die durch gegenseitige Sanktions- und Belohnungsmechanismen durchgesetzt wird. Blaupausen, wie man dorthin gelangt, liegen vor. Der Klimaclub, den die G7 beschlossen haben, könnte eine Basis dafür sein. Zweitens durch Innovationen, die grünen Technologien zum Durchbruch verhelfen, sodass ambitionierte Klimapolitik fortan im Eigeninteresse der Staaten und Unternehmen liegt.

Deutschland könnte hier schon mit einem kleinen Teil der Klimapolitikkosten sehr viel mehr leisten. Allein mit den von Bundesminister Habeck geschätzten 30 Milliarden Euro Kosten für den Industriestrompreis ließe sich bis 2030 eine Forschungsinitiative finanzieren, die mehr als zweimal so groß ist wie das Budget aller 85 Max-Planck-Institute zusammen. Klimaschutz erfordert gewaltige Anstrengungen und Anpassungen. Dem Brückenstrompreis aber fehlen der Kompass und das Fundament.