Schuldenabbau in Europa - wie soll das gehen? Die Chancen zum Sparen stehen günstig

Nachgefragt

Nicht nur in Griechenland ist die Staatskasse klamm. Fast alle Länder der Europäischen Union werden in diesem Jahr steigende Staatsdefizite verzeichnen. Auch Deutschland ist da keine Ausnahme. Was muss die Politik tun, um die horrende Staatsverschuldung abzubauen? Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW, legt die Schritte dar, die Deutschland und andere Länder unternehmen müssen, um ihre Haushalte nachhaltig zu konsolidieren.

Dr. Friedrich Heinemann ist seit 2005 Leiter des Forschungsbereichs "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am ZEW. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fragestellungen des Fiskalwettbewerbs und Föderalismus in Europa. Neben seinem Engagement in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften ist Heinemann unter anderem Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Europäische Integration e.V. und Mitglied im Wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik, Berlin.

Der deutsche Fiskus nimmt in den Jahren 2010 bis 2013 voraussichtlich fast 40 Milliarden Euro weniger ein, so wird geschätzt, als noch vor einem Jahr erwartet. Zusätzlich schreibt die "Schuldenbremse" im Grundgesetz fest, dass im Jahr 2011 erstmals ein Konsolidierungsbetrag von etwa sechs Milliarden Euro eingespart werden muss. Wo kann die Bundesregierung sparen?
Heinemann: Der Bundeshaushalt ist über seine Zahlungen an Renten- und Krankenversicherung fest im Griff der sozialen Sicherungssysteme. Die nächste Gesundheitsreform hat von daher eine handfeste Konsolidierungsdimension: Die Effizienzreserven des Gesundheitssystems müssen auch deshalb realisiert werden, weil sich nur so die Belastungen für den Bundeshaushalt begrenzen lassen. Außerdem muss von weiteren Geschenken und Garantien für die Rentner abgesehen werden. Am Arbeitsmarkt muss alles dafür getan werden, dass die günstige Arbeitsmarktentwicklung nicht durch neue Regulierung (Zeitarbeit, Mindestlöhne) gefährdet wird. Eine weiterhin marktfreundliche Arbeitsmarktpolitik ist ein wichtiger indirekter Konsolidierungsbeitrag. Ansonsten gilt bei allen Sparbemühungen, dass genau zu überprüfen ist, welche Ausgaben einen investiven Charakter haben und für Wirtschaftswachstum wichtig sind. Diese gilt es zu verschonen, weil die Budgetkonsolidierung ohne Wachstum nicht gelingen kann. Aber auch im investiven Bereich ist jedes Projekt auf seine erwartete gesamtwirtschaftliche Rendite zu überprüfen. Das Label "investiv" darf kein Freibrief zum Geldausgeben sein.

Müssen zusätzlich die Steuern erhöht werden, um das deutsche Staatsdefizit abzubauen?
Heinemann: Viel wäre gewonnen, wenn zunächst einmal Steuervergünstigungen verringert würden. Auf den ersten Blick besteht kein großer Unterschied zwischen einer Steuererhöhung und dem Abbau einer Steuervergünstigung, die für die Betroffenen mit höheren Steuern einher geht. Schaut man genauer hin, hat die Beseitigung einer Steuervergünstigung aber oft den Vorteil, dass schädliche allokative Verzerrungen beseitigt werden. Dies gilt etwa für den viel zu weiten Anwendungsbereich des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes. Hier ist durch eine Ausweitung des Normalsatzes viel zu holen.

Welche Steuern kämen für eine Erhöhung in Frage?
Heinemann: Wenn es nicht gelingt, Ausgaben und Steuervergünstigungen in ausreichendem Umfang zu verringern, dann müssen zusätzlich Abgabenerhöhungen kommen. Dabei dürfen möglichst keine neuen Anreize zur Flucht in die Schattenwirtschaft gesetzt werden. Dieser Aspekt spricht gegen die Erhöhung von Sozialabgaben und der Einkommensteuer im Bereich normaler Arbeitnehmereinkommen. Ebenso darf die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandorts nicht leiden. Dies spricht gegen die Anhebung von Körperschaftsteuern und Einkommensteuern auf hohe Einkommen. Letztendlich ist daher erneut eine höhere Mehrwertsteuer eine mögliche Lösung. Auch im Bereich der Erbschaftssteuer sind moderat höhere Belastungen vorstellbar.

Wäre eine Börsenumsatzsteuer zur Entlastung hoch verschuldeter Staaten nicht am besten geeignet?
Heinemann: Man sollte nicht allzu viel Hoffnung in die fiskalische Ergiebigkeit von Finanztransaktionssteuern setzen. Die Steuerbasis ist hochmobil. Insofern ist allenfalls eine sehr niedrige Höhe der Steuer vorstellbar, will man die zu Grunde liegenden Transaktionen nicht in andere Finanzplätze vertreiben.

Gibt es Staaten, die einen erfolgreichen Konsolidierungskurs eingeschlagen haben? Was kann man von ihnen lernen?
Heinemann: Es hat in der europäischen Nachkriegsgeschichte immer wieder Länder gegeben, die ganz erstaunliche Konsolidierungsleistungen vollbracht haben, so etwa die Skandinavier zu Beginn der 1990er Jahre. Länder, die zur Senkung ihrer Defizite auf eine Kürzung von konsumtiven Staatsausgaben gesetzt haben, erzielen am ehesten einen nachhaltigen Konsolidierungserfolg. Investitionskürzungen zahlen sich nicht aus, weil sie zu Wachstumsverlusten führen oder die Einsparungen zu höheren Folgekosten in der Zukunft führen.

Sind harte Sparmaßnahmen politisch durchsetzbar?
Heinemann: Die Chancen für politische Akzeptanz stehen besser als sonst. Wir wissen aus der Geschichte der europäischen Fiskalpolitik, dass harte Einschnitte am ehesten in einer Krisensituation gelingen. Eine Krise vermittelt die Wahrnehmung, dass es ohnehin nicht so weitergehen kann wie bisher. In einer solchen Situation wird es plötzlich unpopulär, für den Status quo einzutreten und die Reformer erlangen wachsenden Einfluss. Niemand weiß genau, ob das griechische Konsolidierungsprogramm am Ende die Kreditwürdigkeit des Landes wird wiederherstellen können. Ohne Zweifel gilt aber, dass das Konsolidierungs- und Reformprogramm des Landes umfassend ist und ohne Krise niemals vorstellbar gewesen wäre.

Hinzu kommt in ganz Europa, dass die Vertrauenskrise um die europäische Verschuldung die Grenzen des Kapitalmarktzugangs für den Fiskus aufzeigt. Bislang lebten Finanzpolitiker aller politischen Couleur im naiven Glauben, dass die Märkte Staatsanleihen in beliebigem Umfang absorbieren könnten. Dieser Glaube ist dahin und das ist eigentlich nicht schlecht. Die drohende Sanktion, bei ausufernden Defiziten den Zugang zum Kapitalmarkt schon bald zu verlieren, wird die Bereitschaft zum Sparen beflügeln, wo sonst Regeln wie die des Europäische Stabilitätspakts versagt haben.