Gute Klimapolitik ist mit Wohlstand verbunden

Standpunkt

Interview der Badischen Zeitung mit dem ZEW-Präsidenten Achim Wambach

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD im Interview der Badischen Zeitung zu Klimaschutz, Wachstum und Wohlstand.

Die Wirtschaft steht vor großen Umbrüchen. Der Mannheimer Ökonom Achim Wambach erklärt im Interview mit der Badischen Zeitung (BZ), wie Klimaschutz und Wachstum zusammenpassen und warum die Herausforderung im Südwesten besonders groß ist.

BZ: Corona-Krise, Energiekrise, Klimakrise – kann man noch optimistisch auf die Wirtschaftslage blicken?

Wambach: Wir befragen regelmäßig Finanzmarktexperten dazu. Die sagen: Die Lage ist nicht gut. Und die Erwartungen für die nähere Zukunft auch nicht. Wir sind noch nicht durch die Krisen durch, der nächste Winter kann noch eng werden – die Gasspeicher sind zwar weitgehend gefüllt, aber das reicht nicht aus. Wo man aber optimistisch sein kann: Die Krisen haben gezeigt, wie flexibel und resilient die Unternehmen sind. Es gab Befürchtungen, dass die Wirtschaft durch die Energiekrise viel stärker einbrechen würde. Das ist vielversprechend für die Transformation, die wir vor uns haben, hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft. Veränderungen sind möglich.

BZ: Viele Unternehmer sagen aber, Deutschland werde als Wirtschaftsstandort unattraktiv.

Wambach: Ja, wir haben an Standortqualität einiges verloren. Das muss man sehr ernst nehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob das die Politik im ausreichenden Maße tut.

BZ: Was sollte die Politik denn tun?

Wambach: Im Moment unterstützt die Regierung die Unternehmen, die für die grüne Transformation gebraucht werden. Und sie erwägt einen Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen. Das greift aber zu kurz. Der Strukturwandel betrifft ja nicht nur die energieintensiven Industrien, alle müssen sich umstellen. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, von der alle profitieren. Mit niedrigeren Unternehmenssteuern zum Beispiel. Genehmigungsverfahren müssen erleichtert werden, nicht nur für Windkraft und Netzausbau. Hürden bei der Digitalisierung und Fachkräftemangel sind auch wichtige Themen, die die Politik angehen muss.

BZ: Sie sind also gegen einen vergünstigten Strompreis für die Industrie?

Wambach: Er ist als Brückenstrompreis für sechs Jahre angekündigt. Es glaubt aber keiner, dass nach sechs Jahren Schluss ist. Wollen wir unsere Industrie wirklich permanent subventionieren? Wenn ein Bereich nicht wettbewerbsfähig ist, sollte man ihn nicht auf Dauer subventionieren. Wenn Energie teurer wird, gehen die Firmen mit einer geringen Wertschöpfung weg. Das ist aber volkswirtschaftlich nicht unbedingt ein Grund zur Sorge. Wir sind kein Billigenergieland. Unsere Stärke ist unser Humankapital, gute Forschungsinstitutionen und Universitäten, die mit den Unternehmen zusammenarbeiten. Unsere Stärke zeichnet sich aus durch Patente, durch Wissen. Damit wird auch eine hohe Wertschöpfung geschaffen.

BZ: Können wir diese Stärken in Baden-Württemberg besonders gut ausspielen?

Wambach: In Baden-Württemberg sind die Herausforderungen des Strukturwandels besonders groß. Die Automobilindustrie hat eine schwierige Aufgabe vor sich. Trotzdem ist Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt.  Man sieht ja, dass unsere Hidden Champions, also die erfolgreichen Mittelständler, Transformation können. Doch auch dort gilt das Standortargument. Wenn die vor lauter Dokumentation nicht mehr atmen können, wenn Planungsverfahren sehr lange dauern, fällt es ihnen schwer, den Strukturwandel zu gestalten.

BZ: Werden sich die Unternehmen eher umstellen? Oder verschwinden alte und neue kommen?

Wambach: Wir sehen alles, Unternehmen, die innovativ sind, Unternehmen, die gehen, und ein paar neue, die nach Deutschland wollen, Tesla zum Beispiel. Im Unterschied zu den USA gelingt es uns relativ gut, dass sich etablierte Unternehmen neu erfinden. Unter den Dax-Unternehmen ist die Hälfte über 100 Jahre alt.

BZ: Und was ist mit neuer Innovation, mit Start-ups? Gerade erst wurde ein Freiburger Start-up von Tesla gekauft.

Wambach: Es gibt Orte wie Berlin, München oder Karlsruhe und Stuttgart, wo viel läuft. Insgesamt hinken wir da in Deutschland aber hinterher. Auch weil es schwierig ist, Finanzierung zu finden. Deshalb ist es die Aufgabe der Unternehmen, selbst für Innovation zu sorgen.

BZ: Mit Blick auf die Transformation haben manche auch Sorge um den Wohlstand.

Wambach: Die Studien zeigen, dass sich der Wohlstand bewahren lässt. Eine gute Klimapolitik ist mit Wachstum und Wohlstand verbunden. Die effizienteste Art des Klimaschutzes ist der Zertifikatehandel, bei dem Unternehmen Berechtigungen für das Emittieren von CO₂ kaufen müssen. Dieser Handel wird uns bis 2030 laut der Studien etwa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. Das wird bis dahin aber um sieben Prozent steigen. Unter dem Strich bleibt also ein Wachstum von vier Prozent.

BZ: Kommt das Wachstum trotz oder wegen der Klimapolitik?

Wambach: Natürlich entstehen neue Stellen, wenn wir mehr Windkrafträder bauen. Auf der anderen Seite schrumpfen Branchen, wenn wir aus Kohle und Gas aussteigen.  Nachhaltigkeitspolitik ist nicht per se ein Wachstumsprogramm. Aber volkswirtschaftlich spricht nichts dagegen, dass wir weiter Wirtschaftswachstum haben werden. Es gibt ja nicht nur die Industrie, es gibt ja auch den viel größeren Dienstleistungssektor. Ich will es aber auch nicht beschönigen, fossile Energie wird teurer. Autofahren und Heizen wird teurer. Das trifft die ärmeren Haushalte stärker, weil diese einen größeren Anteil ihres Einkommens dafür ausgeben. Deshalb muss Klimapolitik immer mit Sozialpolitik verknüpft werden. 

BZ: Ein Modell dafür ist das Klimageld. Die Einnahmen aus dem CO₂-Preis würden pro Kopf an die Bürger zurückgezahlt. Was halten Sie davon?

Wambach: Dabei würde Geld verloren gehen. Denn ich bekomme ja Geld zurück, das mir der Staat vorher über Steuern genommen hat. Die Menschen arbeiten oder investieren aber weniger, wenn sie höhere Steuern zahlen müssen. Ich würde deshalb kein Klimageld an Gutverdiener zahlen. Auch bei Niedrigverdienern macht es sich das Klimageld zu einfach: Die Energiewende trifft auch die ärmeren Haushalte nicht alle gleich: Die, die in der Stadt wohnen, in einer gut isolierten Wohnung und ohne Auto, trifft es weniger als die auf dem Land. Das Klimageld wäre also nicht gerecht.

BZ: Der Zertifikatehandel, für den Sie plädieren, benachteiligt doch aber europäische Firmen auf dem Weltmarkt.

Wambach: Erstmal ist es eine europäische Leistung, dass wir diesen Zertifikatehandel haben – die USA haben das nicht hinbekommen. Was der Inflation Reduction Act in den USA an CO₂-Einsparung bringt, würde ein Zertifikatehandel zu einem Fünftel der Kosten bringen. Das ist eine echte Leistung in Europa – der Glaube an die Märkte scheint doch groß zu sein. Aber ja, es benachteiligt europäische Firmen im internationalen Wettbewerb. Deshalb soll es einen Ausgleichsmechanismus geben: Wer Stahl nach Europa liefert, muss einen Zoll zahlen. Und idealerweise bekämen die Europäer, die Stahl ins Ausland liefern, die hohen Klimakosten erstattet – das ist im Moment aber nicht geplant.

BZ: Was ist besser: Subventionen vom Staat oder den Markt zu beeinflussen, etwa indem man Wärmepumpen günstiger macht oder Gasheizungen teurer?

Wambach: Wesentlich effizienter ist es häufig, wenn Anreize über den Markt erfolgen. Wenn CO₂-Emissionen durch den Zertifikatehandel deutlich teurer werden, überlegt man sich schon, ob man die Mehrkosten für die alte Gasheizung in Kauf nimmt oder doch die Wärmepumpe einbaut. Wir sehen allerdings ein Revival der Industriepolitik. In der Klimapolitik – da dort der Zeitdruck so hoch ist. Und aus geostrategischen Gründen. Über den europäischen Chip Act bekommen zum Beispiel Chipfirmen Milliarden, um sich in Europa anzusiedeln. Das ist ein Subventionswettlauf mit den USA. Aber müssen wir uns wirklich von den USA unabhängig machen? Ich verstehe das geopolitische Argument gegenüber China und instabilen Weltregionen – aber warum gegenüber den USA?

BZ: Stichwort Geopolitik: Wie sehen Sie die langfristigen Folgen des Kriegs in der Ukraine? Der gibt zum Beispiel der Rüstungsindustrie einigen Aufschwung.

Wambach: Der Krieg ist eine unglaubliche Zäsur. Ja, die Rüstung profitiert davon. Aber was wir im letzten Winter an Gas kaufen mussten, wie teuer die Lebensmittel geworden sind – das ist ein immenser Wohlfahrtsverlust. Der Krieg ist kein Konjunkturprogramm. Allerdings war die Rüstungsindustrie in den USA schon immer ein großer Impulsgeber für Innovationen. Drohnen etwa wurden für das Militär entwickelt und haben jetzt viele zivile Einsatzbereiche. Vielleicht bekommt man einen positiven Impuls daraus, wenn man sagt: Keiner macht Rüstung gern, aber wir brauchen es – und wir nutzen dann auch die wirtschaftlichen Chancen.

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