„Der AI Act darf die Marktdynamik nicht ersticken“

Standpunkt

Standpunkt des ZEW-Präsidenten Achim Wambach

Die Regulierung des KI-Markts muss schneller und marktgerechter erfolgen, um die Bildung neuer Oligopole zu verhindern und fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

Die großen Digitalkonzerne schicken sich an, den KI-Markt zu dominieren. Europa darf nicht auf Regulierung setzen, sondern muss die Marktbedingungen für eigene Konzerne verbessern.
Ein Interview der Börsenzeitung mit ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD. Das Interview wurde von Stephan Lorz, Ressortleiter Wirtschaftspolitik, geführt.

BZ: Herr Prof. Wambach, die Kartellbehörden haben die US-Digitalkonzerne zu Oligopolen heranwachsen lassen und letztlich zu spät auf die Vermachtung in den Märkten reagiert. Teilen Sie die Sorge, dass uns dies nun auch auf dem KI-Markt droht?

Im Gutachten der Monopolkommission von 2015 sind wir in der Tat davon ausgegangen, dass der digitale Markt noch nicht verfestigt ist und sich äußerst dynamisch entwickelt. Immer neue Akteure und Produkte sind entstanden. Wir waren daher der Ansicht, das müsse man auch mal wirken lassen. Wir wussten ja nicht, was letztlich herauskommt, und hielten die – auf Plattformmärkte erweiterte – Missbrauchsaussicht der Kartellbehörden für ausreichend, etwaige Wettbewerbsverstöße stoppen zu können.

BZ: Das hat aber nicht so geklappt, oder?

Richtig, schneller als gedacht hatte sich der Markt dann auf wenige dominante Mitspieler wie Alphabet samt Youtube, Microsoft, Amazon, Facebook/Meta samt Instagram sowie Twitter konzentriert. Die Dynamik ging rapide zurück. Wir merkten, dass die Missbrauchsaufsicht nicht ausreicht, weil diese mit Verfahrensklagen über sechs bis acht Jahre Dauer viel zu lang braucht, um zeitnah etwas zu ändern.

BZ: Eine klare Fehlentscheidung zur damaligen Zeit?

Im Rückblick ist es natürlich einfach: ja. Aber, ich will nochmal klarstellen: Es ist schon notwendig, einen Markt sich erst einmal entwickeln zu lassen. Es gab damals 10, 15 und mehr neue kleine Digitalunternehmen, die sich an neuen Geschäften versuchten. Und die – jetzt großen – Konzerne, die einige davon aufgekauft hatten, wussten ja selber noch nicht, welche erfolgreich werden würden. In so einer Phase kann man nicht auf ein einzelnes Unternehmen deuten und als wettbewerbsschädlich brandmarken.

BZ: Was hat man daraus gelernt?

Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz entstehen wieder viele Unternehmen, große und kleine mit immer neuen Geschäftsideen. Und auch jetzt müssen wir uns in der Tat fragen: Wo reicht das Wettbewerbsrecht aus? Wo müssen wir jetzt schon mit der Regulierungskeule in den Markt gehen? Wohl wissend, dass das die Dynamik der Märkte dann bremsen würde. Aber die Erfahrungen der ersten Digitalisierungswelle wirken sicher noch nach – und unser Instrumentarium wurde erweitert.

BZ: Befindet sich der KI-Markt noch im Experimentierstadium? Oder ist er längst schon darüber hinaus? Ich denke an die Kooperationen von OpenAI und der französischen Mistral AI, beide mit Microsoft.

Die „Kooperationen“ sind durchaus ein Problem. Man könnte sie auch als eine Vorstufe zur Fusion sehen. Zumindest wird Einfluss ausgeübt. Aber auch hier ist noch nicht klar, was geschäftlich fliegen wird. Und wie wirken sich Plattformeffekte aus?

BZ: Schon eine Idee?

Bei KI scheint mir die Datenfrage die alles Entscheidende zu sein: Wer mehr Daten hat, wird auch eine bessere KI erstellen können. Hier müssen wir ansetzen. Die Kartellbehörden müssen sicherstellen, dass die Daten frei verfügbar sind für alle Wettbewerber. Und bei Spezialanwendungen müssen Unternehmen sicherstellen, dass ihre Daten nicht zu den großen Playern abfließen.

BZ: Wo kann man da ansetzen?

Die oft geäußerte „einfache“ Lösung, die der Zerschlagung, fällt meines Erachtens aus. Bei der Schiene würden wir nie darüber nachdenken, die Marktmacht der Bahn wegzubekommen. Es gibt ein unteilbares Netz, und das muss eben so reguliert werden, damit Wettbewerber Fuß fassen und erfolgreich werden können. Auf der Schiene gibt es dann den Wettbewerb. Auch bei Facebook oder Google würde eine Zerschlagung nicht weiterhelfen. Dann gäbe es etwa ein nördliches und südliches Facebook; und irgendwann obsiegte wieder das eine. Auch bei den KI-Plattformen wirken datengetriebene Netzwerkeffekte. Wir müssen also verhindern, dass sie – analog zu den Suchmaschinen oder Verkaufsportalen – vom breiten Wissen profitieren, darauf aber ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen bevorzugen und Wettbewerber benachteiligen.

BZ: Reicht hierfür das Kartellinstrumentarium aus?

Wir haben bei der ersten Digitalisierungswelle erkannt, dass die bisherige Missbrauchsaufsicht nicht ausreicht. Deshalb wurde in Deutschland der neue Paragraf 19a im Wettbewerbsrecht etabliert, der mehr Kompetenzen für die Aufsicht bereithält. Auch mit dem Digital Markets Act (DMA) auf europäischer Ebene wurden neue Instrumente geschaffen, wie das Verbot der Selbstbevorzugung.

BZ: Aber was bringt das, wenn viele Klagen die Entscheidungen der Aufsicht verzögern und die betreffenden Unternehmen bis dahin schon einmal Fakten geschaffen haben?

Vielleicht geht es mit dem 19a ja schneller, weil der Rechtsweg abgekürzt wurde. Die Kläger müssen jetzt direkt zum Bundesgerichtshof. Wir reden trotzdem über Jahre und nicht über Wochen. Aber die Strafe, etwa beim DMA, ist ordentlich hoch, weshalb die allermeisten Unternehmen sich eher daran halten dürften. Schon das wird zu Verhaltensänderungen führen.

BZ: Kann man die Marktmacht einzelner Konzerne, die jetzt auch auf den KI-Markt drängen, nicht durch technische Anforderungen brechen? Ich denke da an die Interkonnektivität wie unter Telefongesellschaften oder eine Pflicht zur Datenmitnahme.

Genau das versucht auch der DMA zu erreichen: Interkonnektivität und Datenportabilität. Das könnte einzelnen Konzernen die Marktdominanz wegnehmen. Im Telefonbereich kann ich ja auch auswählen zwischen Telekom und – sagen wir – Vodafone; und doch sind die Nutzer alle untereinander erreichbar. Das würde die Netzwerkeffekte abschwächen. Hier würde ich mir schon etwas mehr Druck seitens der Marktaufsicht wünschen.

BZ: Warum wird das aber nicht ultimativ verlangt von Facebook, Instagram und anderen?

Es gibt schon Anforderungen an Interkonnektivität und Datenportabilität etwa bei Messenger-Diensten. Aber der DMA ist erst vor kurzem in Kraft getreten. Es fehlen noch die Erfahrungen.

BZ: Wir reden hier über die Marktdominanz von US-Konzernen. Würden wir genauso darüber reden, wenn europäische Konzerne ähnlich erfolgreich gewesen wären? Die deutschen Googles, Facebook oder OpenAIs also.

Das denke ich schon. Aber wir dürfen die Diskussion in der Tat nicht aufs Regulieren verengen, sondern müssen selber schauen, wie wir hierzulande mehr Dynamik reinbekommen. Und dafür müssen wir uns um den immer noch verschleppten Breitbandausbau kümmern sowie die zu schwache Start-up-Kultur. Oder um den geringen Digitalisierungsgrad der Verwaltung, und die hohe Bürokratie. Regulierung ist immer gut in Märkten, die eine gewisse Trägheit haben. Wenn sie dynamisch sind wie im Digital- und KI-Markt, laufen wir in Deutschland im Moment immer hinterher.

BZ: Aber Erfolg gebiert Erfolg: Die mit Oligopolmilliarden vollgesogenen Digitalkonzerne erschließen jetzt auch den KI-Markt viel schneller als junge Start-ups. Wie kann man diese Zweitrundeneffekte verhindern?

Nun, wir haben ein Pfund, mit dem wir diese Digitalkonzerne durchaus unter Druck setzen können: unseren europäischen Binnenmarkt. Der Eintritt in diesen Markt ist sehr attraktiv. Und deshalb können wir die Digitalkonzerne dazu bewegen, nach unseren Regeln zu spielen. Die Position Europas ist hier viel mächtiger als die etwa von Australien, das sich ja auch gegen die Marktmacht von Facebook & Co. stemmt.

BZ: Wie groß ist die Gefahr, dass auf dem KI-Markt neue Oligopole entstehen?

Die Gefahr ist durchaus da. Wir sehen gigantische Investitionen von den Digitalkonzernen, die sich das leisten können. Sie haben sich bereits einen großen Vorsprung erarbeitet. Nicht zuletzt, weil sie auf große globale und über Jahrzehnte selber gesammelte Datensätze zurückgreifen können. Sie haben auch die dafür nötigen Rechenkapazitäten. Allerdings fehlt ihnen noch für einzelne Branchenanwendungen das nötige Datenwissen. Darauf müssen heimische Unternehmen bauen, um eigene KI-Systeme zu entwickeln. Das können die eher allgemein gehaltenen KI-Anwendungen wie ChatGPT nicht.

BZ: Wie groß ist in diesem Zusammenhang die Bremswirkung des deutschen Datenschutzes?

Wir machen es uns in der Tat nicht leicht mit 16 verschiedenen Datenschutzbehörden. Eigentlich lässt der Datenschutz schon genügend Freiheitsgrade zu, aber ich würde mir wünschen, dass die Behörden hier lösungs- und weniger verbotsorientiert arbeiten.

BZ: Wie kann man trotz der großen Digitalplayer wie Google und OpenAI/Microsoft Fairness auf dem KI-Markt herstellen und ihn öffnen für neue Mitspieler?

Wir haben mit dem Digital Markets Act (DMA), dem Digital Service Act (DSA), der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und mit dem AI Act bereits ordentliche Regelwerke. Die müssen erst einmal wirken können. Aus deutscher und europäischer Sicht ist schon der Datenzugang der entscheidende Punkt, um einen fairen Markt zu schaffen. Ich denke an Behörden- und Gesundheitsdaten. Die Wettbewerber müssen an diese Daten herankommen. Umgekehrt müssen sie aber auch auf die Daten zugreifen können, die etwa Google mit seiner Websuche gesammelt hat.

BZ: Der jüngst verabschiedete AI Act wurde als Grundlage für den neuen KI-Markt gefeiert, weil er rechtliche Klarheit schafft. Stimmen Sie in das Lob mit ein?

Das hängt ganz entscheidend davon ab, wie er umgesetzt wird. Bei der Datenschutzgrundverordnung waren wir in Europa aus Wettbewerbssicht zunächst ziemlich happy, weil wir davon ausgingen, dass es jetzt endlich einheitliche Datenschutzregeln geben wird. Pustekuchen! Jedes Land hat die DSGVO anders umgesetzt – Deutschland besonders rigide. Und weil die Behörde in Irland kleiner ist und die Entscheidungen dort auf die lange Bank geschoben werden, lohnt es sich für Unternehmen immer noch, dort ansässig zu werden. Wollen wir hoffen, dass dies beim AI Act nun anders läuft.

BZ: Was ist konkret Ihre Sorge?

Meine Sorge ist, dass die Bestimmungen gerade für die kleineren Unternehmen eine Eintrittsbarriere darstellen. Der AI Act darf die Dynamik des Marktes – anders als im Finanzbereich, wo die Fintechs durch die Regulierung ausgebremst wurden – nicht ersticken.

BZ: Vor dem Hintergrund der DSGVO-Erfahrungen: Ist es im Digitalbereich nicht längst an der Zeit, den Föderalismus  abzuschaffen und alles bundeseinheitlich zu regeln?

Das ist rechtlich nicht so einfach. Für die Praktikabilität spricht sicher vieles dafür, die Zuständigkeit an eine einzelne Stelle zu geben. Zumal der Europäische Digital-Binnenmarkt immer noch nicht vollendet ist. Wer in Deutschland eine Online-Filiale aufmacht, darf das noch lange nicht in Frankreich. Auch das Steuerecht ist unterschiedlich. Hier kommen wir gar nicht voran. Und das unterscheidet uns auch – trotz unserer Größe – vom amerikanischen Binnenmarkt. Deshalb haben es Konzerne dort auch leichter, in Größenordnungen zu wachsen, die hierzulande Wettbewerbsfragen aufwerfen.

Dieses Interview erschien zuerst in der Börsenzeitung