Halbzeitbilanz der deutschen Steuerpolitik: Weitgehender Stillstand in der laufenden Legislaturperiode hinterlässt erste Spuren

Forschung

Seit der Unternehmenssteuerreform 2008/09 herrscht in Deutschland, was die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen betrifft, weitgehend Stillstand. Eine Analyse des am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) verankerten Leibniz-WissenschaftsCampus MannheimTaxation (MaTax) zeigt, dass sich steuerliche Änderungen in der laufenden Legislaturperiode auf die Beseitigung verfassungswidriger Regelungen wie beispielsweise der Erbschaftsteuer beschränken. Gleichzeitig steigen die Tarife bei den lokalen Steuern. Die deutsche Passivität steht in klarem Kontrast zu den Aktivitäten anderer EU-Staaten, die bei den Ertragsteuern für Kapitalgesellschaften die tariflichen Steuersätze immer weiter senken. Eine quantitative Analyse der effektiven Steuerbelastungen innerhalb der EU zeigt, dass bei alleiniger Betrachtung der Ebene der Kapitalgesellschaft Deutschland mittlerweile hinter Italien zurückgefallen ist.

In der laufenden Legislaturperiode hat das Bundesverfassungsgericht bereits Bestimmungen der Erbschaftsteuer und der Grunderwerbsteuer für verfassungswidrig erklärt. Auch die Überprüfung der auf veralteten Einheitswerten beruhenden Ermittlung der Grundsteuer ist bei den Karlsruher Richtern anhängig. Erst durch Impulse der Rechtsprechung werden also steuerliche Reformen ausgelöst, deren Umsetzung etwa im Rahmen der Erbschaftsteuer zu einer weiteren Verkomplizierung der steuerlichen Bestimmungen in Deutschland führen könnte.

Gleichzeitig lässt sich für nahezu alle Steuerarten ein Anstieg der tariflichen Steuersätze feststellen. So haben sich die von den Bundesländern festgelegten Steuersätze der Grunderwerbsteuer in einzelnen Ländern seit 2006 nahezu verdoppelt. Auch bei den Gemeindesteuern (Grundsteuer, Gewerbesteuer) ist ein Anstieg festzustellen. Dadurch erhöht sich die Tarifbelastung der Gewinne von Kapitalgesellschaften in Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern von 30,95 Prozent (2008) auf 31,47 Prozent (2015).

Diese Entwicklung stimmt bedenklich. Nicht weil die Tarifbelastung so stark gestiegen wäre, sondern weil dieser Anstieg dem europaweit zu beobachtenden Trend bei der Unternehmensbesteuerung entgegenläuft. So sinkt die durchschnittliche tarifliche Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften aller 28 EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2015 auf 22,90 Prozent. Im Zeitraum 2013 bis 2015 hat beispielsweise Großbritannien den tariflichen Steuersatz von 23 Prozent auf 20 Prozent reduziert und bereits weitere Senkungen angekündigt.

Der Vergleich der Effektivsteuerbelastungen für ein Modellunternehmen verdeutlicht die Konsequenzen dieser Entwicklung. Im Rahmen der Simulation wird die effektive Steuerbelastung eines Modellunternehmens nach 10 Simulationsperioden berechnet. Bei alleiniger Betrachtung der Unternehmensebene ergibt sich für das Modellunternehmen eine Belastung von 55,31 Millionen Euro für das Jahr 2015 in Deutschland. Damit belegt Deutschland unter den 28 EU-Staaten aktuell Rang 23 und wird von Italien überholt. In anderen bedeutenden EU-Staaten wie Spanien sinkt die effektive Steuerbelastung ebenfalls beträchtlich. Bei Betrachtung der Gesamtebene (inklusive Besteuerung der Anteilseigner) ergibt sich derzeit allerdings noch ein unverändertes Bild. Deutschland belegt hier mit einer effektiven Gesamtbelastung von 88,55 Millionen Euro Rang 24.

Insgesamt werden die steuerlichen Standortbedingungen für Unternehmen in Deutschland unattraktiver. In Deutschland steigt die effektive Steuerbelastung langsam, aber kontinuierlich an, während andere EU-Mitgliedsstaaten die effektive Steuerbelastung erheblich senken.

Für Rückfragen zum Inhalt

Rainer Bräutigam (ZEW), Telefon 0621/1235-163, E-Mail rainer.braeutigam@zew.de

Prof. Dr. Christoph Spengel (ZEW und Universität Mannheim), Telefon 0621/181-1704,
E-Mail spengel@uni-mannheim.de