ZEW nennt Prioritäten für die Reform von EU und Eurozone
ForschungZEW-Positionspapier zur Europawahl
Anlässlich der bevorstehenden Europawahl legt das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim ein Positionspapier mit Prioritäten für das neue Europäische Parlament vor. Das Positionspapier fasst aktuelle Erkenntnisse aus der ZEW-Forschung zusammen und nennt dabei als kritische Punkte unter anderem den Umbau des Haushalts der Europäischen Union in Richtung eines europäischen Mehrwerts, Änderungen in der Agrar- und Kohäsionspolitik sowie die Ausarbeitung eines gangbaren Insolvenzverfahrens für überschuldete Staaten in der Eurozone.
„Das nächste Europaparlament sollte die in Brüssel noch zu weit verbreitete Selbstzufriedenheit aufgeben und mit einer ungeschminkten Problemanalyse beginnen. Die sinkende Popularität der EU ist nicht nur Folge schlechter Kommunikation, sondern auch durch falsche Prioritäten im EU-Haushalt und gravierende Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion bedingt. In Europa haben wir heute viel zu viel Besitzstandswahrung und fehlenden Mut, überkommene Politikansätze endlich zu beenden. Das neue Parlament sollte beim Euro und im EU-Haushalt umsteuern“, so das Fazit von Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“.
ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD ergänzt: „Die Stärke Europas besteht darin, bestimmte Bereiche gemeinsam effizienter und effektiver zu gestalten, als es Länder im Alleingang könnten. Die Forschungsarbeit am ZEW zeigt, dass in der Agrar-, Verteidigungs-, Klima- und Migrationspolitik solche Synergieeffekte sinnvoll sind, dort also ein europäischer Mehrwert entsteht. Werden die Ausgabenposten anhand dieses Mehrwerts ausgerichtet, kann das die Legitimität der EU stärken. Dem neuen Europaparlament kommt dabei eine maßgebliche Rolle zu.“
Ausgangspunkt des Papiers ist die Erkenntnis, dass EU und Eurozone in den vergangenen Jahren viele Versprechen nicht haben einlösen können. Europa sei ökonomisch wenig erfolgreich gewesen und der Integrationsprozess habe daher stark an Rückhalt verloren.
Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik sind hochriskant
Erste Priorität müsse deshalb der Umbau des Brüsseler Budgets in Richtung von Politikfeldern mit „europäischem Mehrwert“ haben. Dazu müsse der Ausstieg aus den kostspieligen Direktzahlungen an europäische Landwirte beginnen, die keinerlei überzeugende Rechtfertigung mehr besäßen. Auch die Kohäsionspolitik, welche die Entwicklung ärmerer Regionen und Mitgliedstaaten fördern solle, gehöre auf den Prüfstand. Hier sei es vorrangig, die Kohäsionsmittel in Zukunft zielgenauer auf arme Regionen zu konzentrieren. Zudem erfordere jegliche Förderung eine unabhängige Justiz und eine glaubwürdige Korruptionsbekämpfung im Empfängerland, heißt es in dem ZEW-Positionspapier.
Das Papier widerspricht Vorschlägen, der EU ein eigenes Besteuerungsrecht zu geben oder die Einstimmigkeit in der europäischen Steuerpolitik aufzugeben. Das heutige Finanzierungssystem des EU-Haushalts mit seinen Beiträgen proportional zur Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten sei fair, transparent und zuverlässig in seiner Finanzierungsleistung. Dagegen seien Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik für den Zusammenhalt der EU hochriskant, weil eine Mehrheit von Ländern der unterlegenen Minderheit hohe Kosten aufbürden könnte. Dies könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass sich nach dem Vereinigten Königreich weitere Mitgliedstaaten von der EU abwenden, wenn sie in wichtigen Steuerfragen überstimmt würden.
Für die Eurozone bestehe immer noch ein weit reichender Reformbedarf, heißt es in dem Papier weiter. Mit den heutigen Institutionen könne eine neue Finanz- und Schuldenkrise nicht bewältigt werden. Außerdem sei die Eurozone durch populistische Regierungen erpressbar geworden, die sich zwar nicht kooperativ verhielten, aber als „too big to fail“ betrachtet würden. Um dieser Problematik zu begegnen, sollte sich das neue Europaparlament mit vier Prioritäten befassen.
Die Eurozone braucht ein funktionsfähiges Insolvenzsystem
Zunächst müsse es endlich darauf hinarbeiten, die Schicksalsgemeinschaft aus Staatsfinanzen und Bankenstabilität aufzulösen. Nationale Banken sollten daher bei Käufen von Staatsanleihen des eigenen EU-Landes künftig gängige Großkreditgrenzen und die Regeln zur Eigenkapitalunterlegung beachten. Zudem müsse Europa auf ein glaubwürdiges und funktionsfähiges Insolvenzsystem für überschuldete Eurostaaten hinarbeiten. Auch sollten neue Stabilisierungsinstrumente wie etwa ein Eurozonen-Budget nur als Teil eines Gesamtpakets inklusive der zuvor bereits genannten Elemente realisiert werden. Schließlich sollte die Europäische Kommission aufgrund ihrer zu starken politischen Interpretation des Stabilitätspakts als zentraler Wächter der europäischen Schuldenregeln ersetzt werden. In diesem Punkt empfiehlt das Positionspapier eine stärkere Rolle des Europäischen Fiskalrats.
Jenseits der Maßnahmen für einen leistungsfähigeren EU-Haushalt und eine funktionierende Eurozone sollten auch die „weichen“ Faktoren einer erfolgreichen Integration stärker in den Blick genommen werden. Programme wie Erasmus für den Austausch von Studierenden wirkten sich zwar günstig auf die Herausbildung einer europäischen Identität aus, sie richteten sich aber zu sehr an Gruppen, die ohnehin bereits eine stark europäische Perspektive einnähmen. Hier seien neue Ideen wie beispielsweise Austauschprogramme für Arbeitnehmer gefragt, die sich an Menschen richteten, die sonst nur geringe Chancen hätten, Europa jenseits der eigenen Grenzen kennen zu lernen.