EZB-Präsidentenamt für Deutschland wichtiger als Chefsessel der EU-Kommission
European IntegrationZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur Ämterfrage nach der Europawahl
Nach der Europawahl muss der Europäische Rat dem Europäischen Parlament einen Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlagen. Mit der Nachfolge von Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in den kommenden Monaten ein weiteres wichtiges Amt in der EU zu besetzen. Mit Manfred Weber und Jens Weidmann gibt es für beide Ämter aussichtsreiche deutsche Kandidaten. Allerdings gilt es als ausgeschlossen, dass beide Positionen von Deutschen besetzt werden könnten. Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, nimmt zu den nach der Europawahl anstehenden Entscheidungen Stellung.
„Für Deutschland ist die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung als der Chefsessel der EU-Kommission. Die Kommission verfügt zwar in der EU-Gesetzgebung über die Gesetzesinitiative, letztlich bedarf aber jedes Gesetz der Zustimmung von Rat und Parlament. Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament werden den Handlungsspielraum des nächsten Kommissionspräsidenten so stark einengen, dass die Frage seiner eigenen politischen Überzeugungen wenig relevant ist. Dies ist für die EZB grundlegend anders: Der EZB-Rat entscheidet über alles Maßnahmen der Geldpolitik in völliger Unabhängigkeit von Parlament oder Rat. Dazu gehören seit 2010 auch Entscheidungen über den Kauf von Staatsanleihen der Euroländer.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der nächste EZB-Präsident in seiner achtjährigen Amtszeit mit einer italienischen Schuldenkrise konfrontiert wird. Die Frage, ob die EZB dann in großem Maße Staatsanleihen Italiens kaufen wird, ist für Deutschland von enormer finanzieller Relevanz. Unter Mario Draghi hat die EZB bereits italienische Staatsanleihen im Umfang von 370 Milliarden in ihre Bilanz genommen und finanziert damit heute schon 16 Prozent der gesamten Staatsschuld des Landes. Mit einem EZB-Präsidenten, der wie Jens Weidmann als Kritiker der Anleihekäufe gilt, sinkt die Gefahr einer von der EZB organisierten umfangreichen Transferlösung für hoch verschuldete Eurostaaten.
Auch wenn der Präsident im EZB-Rat nur über eine Stimme verfügt, ist seine Rolle als Meinungsmacher von enormer Bedeutung für die Entscheidungen, das hat Mario Draghi demonstriert. Die Bundesregierung sollte ihre Personalstrategie somit überdenken und eindeutig den EZB-Präsidentensessel für Jens Weidmann beanspruchen.“